DIE NACHT VOR DER ABFAHRT
Metten
Metten
In der Nacht vor unserer Abfahrt
trinken wir noch ein Bier im Motorbootclub.
Wir sind glücklich darüber, dass wir
dort bleiben und ablegen dürfen, wurden dort sehr freundlich aufgenommen und freuen uns, dass wir mit einigen
Clubmitgliedern ins Gespräch kommen.
Sie teilen wertvolle Informationen über
den Fluss mit uns und geben uns Ratschläge. Doch zugleich spüre
ich, dass sie alle sehr besorgt sind. Wir treten sehr unbedarft auf
und sie erzählen Anekdoten, um uns aus unserer Naivität zu reißen.
Die Donau sei kein Zuckerschlecken, wir sollten uns der Gefahren
bewusst sein und vor allem die Abschnitte nach Ungarn mit Vorsicht
genießen, könnten dort mit weniger Rücksicht von anderen Schiffen
rechnen. Vor den Schleusen warnen sie uns ganz besonders. Allein bis
Wien werden wir neun Stück passieren müssen. Ein junger Mann,
sichtlich angetrunken, ist sehr betroffen und versucht uns von
unserem Vorhaben abzubringen. Weil Umut nur Englisch versteht, sagt
er immer wieder: „Why do you want to die?? Why do you want to kill
yourself?? Do you not want to live??“
Wir nehmen die Ratschläge dankend an,
wollen uns aber auch nicht verunsichern lassen. Mir ist mulmig.
Zugleich weiß ich, dass die Reise mit unserem Boot möglich sein
wird. Dass wir Risiken in Kauf nehmen, uns dessen bewusst sind und
deshalb vorsichtig sein werden. Und dass, wenn man es genau
betrachtet, auf deutschen Autobahnen täglich wahrscheinlich mehr
Menschen verunglücken, als Ruderer auf der Donau.
Wir werden ein gutes
Einschätzungsvermögen von Gefahren, eine gute Balance zwischen Mut
und Sicherheit entwickeln (müssen), das ist schon einmal klar. Mit
dem Gedanken schlafe ich ein.
TAG 1
Metten- Pleinting
Meine Familie besucht uns am Fluss und
bringt Frühstück mit. Freunde kommen, sehen uns beim Packen zu,
verabschieden sich und gehen wieder. Ein netter Mann, der uns schon
seit Mai begleitet, im Hafen unsere Fortschritte bei den Reparaturen
begutachtet hat, wünscht uns Glück und schenkt uns zwei „Fender“,
luftgefüllte Gummieier, mit denen man die Bootswände in den
Schleusen vor Kratzern schützen kann.
Mittags legen wir ab, fahren in einen strahlend sonnigen Sonntag hinein. Als erstes Manöver müssen wir von der einen auf die andere Flussseite rudern. Wir bekommen kurz Panik, fangen fast an zu streiten - werden koordinierter - und schaffen es. Bis zum Hafen in Deggendorf probieren wir unsere Technik aus. Hantieren mit unserem Segel. Der Reisebeginn ist zugleich unser erster Testlauf. Die Wasserskifahrer, Motorboote, Frachtschiffe bringen uns mit ihren Wellen arg ins Schwanken. Wir lernen, das Boot im richtigen Moment so zu drehen, dass sie uns nur noch sanft auf und ab schaukeln lassen.
Als wir am Gelände vom Zweckverband
Donauhafen vorbeidümpeln, steht der Fenderspender mit seiner Frau an
der Mauer und winkt uns zu. Wir freuen uns, ihn zu sehen. Verlieren
die Richtung. fahren Zickzack und drehen uns einmal um die eigene
Achse. Er sieht uns lange nach.
Wir sind aufgeregt, denn unser Boot hat
über Nacht etwas Wasser gezogen und wir werden sehen, wie weit wir
das mit Ausschöpfen in den Griff bekommen werden. Unter den
Bodenbrettern klebt genug Styropor – wenn, dann werden wir nur
langsam sinken. Der Notfallplan steht, im Fall der Fälle können wir
an Land rudern und die Reise abbrechen.
Wir paddeln an der Mühlhammer Schleife
vorbei, unterdrücken unseren unstillbaren Durst auf kühle Getränke.
Die Sonne brennt auf unsere Köpfe. Zwei Kajakfahrer freuen sich über
unser Boot. Sie denken, dass wir es damit zum Schwarzen Meer schaffen
können, wenn wir nur genug Zeit haben. Die haben wir. Wir
philosophieren darüber, wie unterschiedlich man die Donau wahrnehmen
kann. Wie sie für den einen ein Ort voller Gefahr, die anderen einen
Partner und Freund darstellen kann. Ob man sich gegen sie, oder mit
ihr bewegt, scheint dabei ausschlaggebend zu sein.
Abends gehen wir kurz vor Pleinting, in
einem Altwasserarm vor Anker, merken dass stehendes Wasser bewohntes
Wasser ist - flüchten vor den Mückenschwärmen in unsere Zelte und
schlafen die erste Nacht erschöpft und fröhlich ein.
TAG 2
Pleinting – Gerading (bei Vilshofen)
Morgens sehen wir mit Herzklopfen nach
dem Boot. Quetzal ist nicht untergegangen. Die Pfütze im Boot lässt
sich problemlos abschöpfen, das Wasser draußen wird immer mehr zum
Freund. Steuern und Vorankommen braucht weniger Diskussion und
passiert automatischer. Als die Sonne zu sinken beginnt, finden wir
einen privaten Bootssteg, versteckt zwischen den Bäumen am Ufer mit
zugehörigem umzäunten Grundstück. Wir beschließen dort zu
bleiben. Noch sind wir ungeübt und missverstehen uns viel beim
Versuch, uns dort festzumachen. Das Segel bleibt im Baum hängen.
Sergio versucht uns vom Wasser aus in die richtige Position zu ziehen
und stöhnt vor Anstrengung. Umut und ich verstehen seine Kommandos
nicht, sind kurz planlos – am Ende schaffen wir es mit gemeinsamen
Kräften, Quetzal zu befestigen. Im Durcheinander verlieren wir ein
Paddel, was bitter ist.
Es wird dunkel. Wir befestigen die
Hängematte und schieben Schichtdienst im Ausspannen, Kochen und
Zelte aufbauen. Der Steg schwankt unter meinen Füßen, bis ich
merke, dass der sich gar nicht wirklich bewegen kann, dass mir da
also der Gleichgewichtssinn einen Streich spielt. Aufregend. Wir
kochen Nudeln und blicken über den traumhaft schönen Fluss, der
bunt gefärbt ist vom Sonnenuntergang. Es ist still. Auf dem Rasen
krabbeln zwei schneeweiße Ratten unter dem Zaun hindurch, machen
Männchen und beginnen das Gelände zu erkunden.
TAG 3
Gerading
Wir wachen auf – denken darüber
nach, dass wir vor hatten innerhalb einer Woche in Wien zu sein –
betasten die schmerzenden Muskeln – und beschließen noch einen
weiteren Tag zu bleiben. Bei einem Haus in der Nachbarschaft dürfen
wir unseren Wasserkanister befüllen, dann trampen Umut und ich zum
nächsten Supermarkt. Ein Schild fällt uns ins Auge: Deggendorf 35
km. Irres Lachen. Am Fluss rechnen wir anders, da sind es immerhin 48
Kilometer, trotzdem, wir hatten mehr erwartet. Eine ganz neue
Erfahrung von Langsamkeit! Wir kaufen Essen ein, laden Handy und
Kamera in der Tankstelle auf und halten dann wieder den Daumen in den
Wind. Diesmal klappt es nicht. Ein Mann ohne T-Shirt mit roten Wangen
lacht uns aus und sagt, so, mit dem Bart, sähe Umut ja wie Bin Laden
aus, da werde es nichts mit dem Autostop. Außerdem seien wir doch
jung genug, um zu laufen. Die Sonne brennt, glücklicherweise weniger
heiß, und wir vertreten uns ein paar Kilometer lang die jungen
Haxen. Neben dem okkupierten Grundstück sitzen jetzt zwei Angler,
Umut und ich machen einen scharfen Schlenker am Zaun vorbei,
versuchen es über die Wiese, geben vor Blumen zu pflücken wenn
Radfahrer vorbeizischen, scheitern an einer Unmenge von Stechdisteln
und krabbeln dann hoch erhobenen Hauptes wie „ganz
selbstverständlich“ neben den Anglern durchs Gebüsch. Ob jetzt
die Polizei kommen wird? Irgendwie tun wir keinem weh, machen nichts
kaputt, haben eine Art Notfall gehabt..
Wir danken den unbekannten Besitzern,
dass sie uns in der Not aufgenommen haben, auch wenn sie davon nichts
wissen. Sie haben uns so unglaublich viel geholfen in einem Moment,
in dem wir es dringend brauchten. Die Moral ist wieder oben, die
Motivation auch.
TAG 4
Gerading – Kachlet
Vor der Schleuse Kachlet geht es zäh
voran. Das wussten wir davor schon theoretisch, nur spüren wir nun
praktisch, wie es sich anfühlt, wenn man anfängt, Fahrradfahrer mit
Rennautos zu verwechseln, weil man sich selbst kaum oder gar nicht
mehr bewegt. Wir paddeln und sind am Ende sehr stolz darauf, dass wir
an einem Tag 14 Kilometer geschafft haben. Am Abend erreichen wir
unsere erste Schleuse. Ordentlich melde ich uns über das Funktelefon
an der Liegestelle für Sportboote, direkt vorm Kraftwerk, beim
Schleusenwärter an. Der antwortet freundlich, dass sie gerade
streiken und wir deshalb die Nacht hier verbringen müssen. Wir bauen
die Zelte auf. Umut macht sich auf den Weg nach Passau. Sergio und
ich machen Ordnung im Boot, als wir von einem plötzlichen
Wolkenbruch überrascht werden. Umut kommt zurück gerannt, es
schüttet aus Kübeln, jeder nimmt ein Stück Brot und Wurst auf die
Hand und wir flüchten in die Zelte.
TAG 5
Kachlet – bei Obernzell
Morgens liegt noch Dunst über dem
Wasser und es ist dampfig frisch. Über Funk bitte ich um Einlass in
das Kraftwerk, um die Toilette benutzen zu können. Auf meinem Weg
begegne ich niemandem. Jede der hohen Türen, an denen ich vorbei
gehe, ist ohne Türgriff, ohne Schild und alle sind verschlossen.
Nachdem ich das ganze große Gebäude umrundet habe, finde ich einen
Eingang, melde mich über Gegensprechanlage. Jemand antwortet, die
Anlage ist kaputt, ich verstehe nur die Hälfte, der Summer gibt den
Weg frei, ich öffne die riesige Tür. Da ist gleich die Toilette, es
ist gespenstisch still, ich treffe einen Putzmann, sonst sind die
Fluren menschenleer. Ich frage mich, ob das Kraftwerk vielleicht ganz
und gar automatisch funktioniert und alles von Robotern gesteuert
wird. Dass da, in diesem riesigen Gebäude, vielleicht gar keine
Menschen drin sind.
Wir packen zusammen. Ein
Kraftwerksmitarbeiter leert den Mülleimer und erklärt uns, dass sie
streiken, weil die Zuständigkeit für das Kraftwerk wechseln wird,
sie in die Gespräche nicht miteinbezogen werden, deshalb Lohn und
Arbeitsort für sie nicht mehr sicher seien.
Mittags sollen wir durchgeschleust
werden. Ein Motorboot legt hinter uns an. Es sieht schmuck aus. Ein
junger Mann, eine junge Frau und ihre zwei Hunde, sind inklusive
Kräutertöpfen damit gerade auf dem Weg nach Wien. Sie kommen aus
Deggendorf, geben uns einen Buchtipp für die Strecke bis zum
Schwarzen Meer, gute Hinweise, wie man sicher durch die Schleuse
kommt und bieten dann an, uns an sich anzubinden, damit wir
gemeinsam die Schleuse passieren können. Wir sind überglücklich,
können also erst mal beobachten, bevor wir uns mit dem
konfrontieren, was neben großen Wellen und schwerfälligen Frachtern
die größte Gefahr darzustellen scheint, die der Fluss gerade für
uns zu bieten hat. Als wir drin sind, ist es dann weniger aufregend
als gedacht. Die Kammer schließt sich, das Wasser sinkt stetig ab.
Die junge Deggendorferin hält den Schleusenhaken in der Hand, durch
den zwei Taue gezogen sind, die das Motorboot vorne und hinten
halten. Sie hängt ihn in die Leiter ein und rutscht immer wieder
eine Stufe weiter nach unten. Alles läuft glatt, wir sind alle
still, konzentriert und ernst. Umut filmt. Chico, der eine Hund, ist
von der Aufregung ganz unberührt und hüpft lustig zu uns hinüber,
wieder zurück, aufs Dach, von Panik keine Spur.
Wir lassen uns ein bisschen ziehen, bis
der Fluss wieder Geschwindigkeit aufnimmt, verabschieden uns und
sagen laut: Wir haben sie bezwungen, die Schleuse! We did not die!
In Passau werden wir vom
Passagierschiffkaptiän der „Gisela“ angeschrien, weil wir erst
spät verstehen, dass er nicht an uns vorbei, sondern nur vor uns
umdrehen will. Die Strömung erweist sich als trickreich, wir lassen
uns nicht übers Ohr hauen, entwischen ihr und überqueren ohne es zu
merken die Grenze nach Österreich.
Immer mehr Ausflugsboote fahren an uns
vorbei. Eins hat Swarovski
Interieur, ist mit Glitzerfolie beklebt und hat echte Palmen
an Deck. Die Touristen winken. Wir winken zurück.
Den Rest des Tages paddeln wir unter
unserem gelben Sonnenschirm, es geht flotter voran. Gegen Abend
bekommen wir Besuch von der Wasserpolizei. Die stellen ein paar
Fangfragen. Ich bin vorbereitet und antworte souverän. Sie freuen
sich sichtlich über das Wort „Schleusenhaken“ und unser sehr
professionelles Flussbuch, das uns ein Frachtschiffer geliehen hat.
Sie fragen, wie weit wir denn fahren wollen. Ich sage: „Nach Linz“
– weil ich weiß, dass die Wahrheit uns nur Probleme machen würde.
Ich sage und meine es ernst: „Wenn wir merken, es klappt nicht
mehr, dann lassen wir das Boot natürlich liegen.“ Die Polizisten
lassen das gelten, geben uns einen Tipp für die Übernachtung und
verabschieden sich wieder.
Als wir kurz darauf Obernzell
erreichen, flirrt die Hitze über den Dächern und wir sehen
niemanden. Eine Geisterstadt, sagt Umut, und weil wir den Steg
verpassen, hören wir auf zu paddeln, er filmt und wir lassen uns an
der Szenerie vorbeitreiben. Kurz danach legen wir an einem Gasthaus
mit Campingplatz an. Dass wir dort bezahlen müssen, macht uns nicht
glücklich, doch der phänomenale Ausblick und die Aussicht auf eine
richtige Dusche überzeugen uns dann doch. Sergio und ich machen
Ballettübungen am Geländer, Umut kocht Bulgur und später trinken
wir ein echtes kaltes Bier vor unseren Zelten.
TAG 6
Bei Obernzell – Au am Wesenufer
Bald erreichen wir das Kraftwerk
Jochenstein. Diesmal zieht uns niemand. Eine Familie im Motorboot
beäugt uns aus der Ferne, und filmt, wie wir schwitzend in die
Schleuse rudern. Wir verpassen den einen Poller, vergessen, dass wir
nicht neben, sondern hinter dem Passagierschiff stoppen sollen,
werden über den Lautsprecher angeschrien. Wir müssen wieder
umdrehen und zurück. Ich werde nervös und schwitze noch mehr. Wir
geraten aus dem Takt. Die Rentner auf dem Ausflugsschiff fiebern mit.
Sie feuern uns an: „Eins Zwei Eins Zwei!“
Als wir in Position sind, wird das
Wasser abgesenkt. Ein Tau verheddert sich kurz, Sergio bekommt es
wieder los. Die anderen Bootsfahrer filmen. Am Ende ist es weniger
schlimm als gedacht, wir sind stolz, dass wir es geschafft haben und
machen Pläne, wie es beim nächsten Mal noch glatter laufen kann.
Danach geht es wieder flotter, bis die
Donau anfängt sich immer mehr zu winden und zu schlängeln, Dörfer
verschwinden und wunderschöne lauschige Wälder fassen uns zur
Linken und zur Rechten ein. Sanft geschwungene Hügel ziehen sich die
Ufer hinauf, der Fluss legt sich in niemals enden wollende Kurven,
als wollte er sich zum Kreis biegen.
Mit den Wäldern kommen die Bremsen.
Sie überfallen uns in Dutzenden und stechen vor allem die beiden
Jungs. Ihr Biss schmerzt sofort, sie bohren ihre Rüssel sogar durch
Stoff. Wir fluchen, klatschen uns gegenseitig auf Rücken und
Schultern. Die Landschaft entschädigt uns. Immer wieder, für kurze
Zeit. Als der Fluss langsamer wird, springt Sergio mit der
Schimmweste ins Wasser und zieht uns zwei Kilometer lang hinter sich
her. Ankernde Motorbootsfahrer schmunzeln und schütteln die Köpfe.
Ein Ehepaar mit Hund steht bis zum Knie
im Wasser, sie das Kleid hochgeschürzt, er mit offenem Hemd. Sie
sehen uns vom Ufer aus zu. Sie lacht und sagt: Schönes Boot! Schöne
Farben! Schöne Menschen! Wir freuen uns.
Einen Jachthafen mit Hotel lassen wir
rechts liegen, auf der Linken sieht es interessanter aus. Mit letzter
Kraft schaffen wir es auf die gegenüberliegende Seite. Beim Gasthaus
„Zur Fährfrau“ der Familie Pumberger stellen wir die Zelte unter
Nussbäumen auf, genießen die sehr ehrliche, authentische Umgebung
des alten Bauernhauses, mit urigen Gartens, Kühen hinter dem Haus
und Pfauen, die statt der sonst üblichen Hühner auf dem Misthaufen
picken. Motorboote und Frachtschiffe schlagen hohe Wellen. Wir liegen
in den Zelten, Grillen zirpen, der Boden schwankt wieder und im Fluss
liegt Quetzal und tanzt.
TAG 7
Au
In der Nacht hatte ich einen Alptraum.
Im Halbschlaf bin ich mir sicher, dass sich das Zelt auf einem Boot
befindet. Ich werde panisch und bitte Sergio, mir zu helfen, wir
treiben auf dem Fluss und müssen dringend steuern! Meine Hände
suchen nach dem Zeltausgang, er versucht mich zu beruhigen und sagt:
Fiona, wir sind nicht auf dem Fluss. Ich sage: Doch, ich kann es doch
fühlen! Der Boden bewegt sich heftig unter mir. Er insistiert: Wir
sind im Zelt, nicht im Wasser. Ich finde den Ausgang, sehe Gras statt
Wasser und schlafe wieder ein.
Wir wachen alle spät auf und sind wie
gerädert. Gemeinsam entscheiden wir, dass wir uns eine Pause
verdient haben. Der Bauer verkauft uns frische Milch und wir dösen
nach dem Frühstück auf der Wiese vor uns hin.
Ich höre ein Gespräch zwischen einer
Radfahrerin und dem Fährmann mit. Sie hat eine junge Kollegin, die
ihr Sorgen macht. Jemand sagt: Das ist eine ganz andere Generation.
Die wollen noch hackln (österreichisch für arbeiten). Alle stöhnen
über diesen Umstand. Der Fährmann sagt: „Ich finde, 40 Stunden
Arbeit pro Woche reichen. Und dann mach ich Urlaub.“
Eine Frau im Gastgarten redet
ununterbrochen und ist sehr unzufrieden darüber, dass sie viel
arbeitet, immer spurten muss und sich keine Erschöpfung oder Pausen
erlauben kann. Der Arbeitgeber habe keine Toleranz dafür, wenn sie
mal einen freien Tag brauche, sie gebe alles für die Patienten, doch
wenn es ihr mal schlecht ginge, sei da niemand, der sich dafür
interessiere.
Im Gang des Bauernhauses hängt ein
gerahmter Spruch, der Bescheidenheit preist und anmahnt, dass man
alle Besitztümer irgendwann, in der Stunde des Todes, wieder
verlieren wird.
Wir ruhen uns aus, schlafen, schwimmen.
Wandern auf einen Berg, zur Ruine der Burg Haichenbach, von deren
höchsten Punkt aus man auf der linken wie auch auf der rechten Seite
den Fluss sehen kann. Um den Hügel legt sich die beinahe kreisrunde
Donauschleife, die Schlögener Schlinge. Das Abendlicht ist magisch,
wir sehen Schmetterlinge, Schlangen und Frösche.
Neben unserem Zelt hat ein Wohnmobil
geparkt, ein hübsches sportlich aussehendes Paar mit Kajak auf dem
Dach. Sie kommen aus Linz. Ich frage sie, wo wir in Linz stoppen
können, und es stellt sich heraus, dass sie ein absoluter
Glücksgriff sind. Wolfgang ist im Kajakclub, fährt seit seiner
frühen Jugend auf der Donau und hat viele Geschichten über den
Fluss zu erzählen. Wir sitzen mit ihm und seiner Frau Pari beim
Lagerfeuer, trinken Most und sind gebannt von seinen Erzählungen. Da
geht es um Spaß auf dem Wasser, voller Risiko. Der Fluss wird zum
wilden Spielpartner, auf dem er und seine Freunde in Kindertagen
reiten, Dampferwellen auf denen sie mit den Kajaks surfen, bis das
Boot halb zerhäckselt und durch die Luft geschleudert wird. Damals
hat die Donau wilderes Wasser als heute, die vielen Kraftwerken
machen sie langsam. Wolfgang spricht von Mut und der Lust, mit dem
Fluß Abenteuer zu erleben - eher, als sich von ihm verstören zu
lassen. Er sagt, er verstehe nicht, warum Menschen denken, die Donau
sei gefährlich. Autofahren sei gefährlich. Aber doch nicht die
Donau!
Als er von seinem Vater berichtet,
dessen Erfahrungen bei den Pfadfindern, was sie damals an sportlichen
Leistungen und Abenteuern gewohnt waren, lässt mir bewusst werden,
wie gemütlich und sicher wir es doch eigentlich haben, mit unseren
knallorangenen Schwimmwesten, der vollen Vorratstaschen und dem
Solarladegerät fürs Handy. Wolfgangs Vater hat mit 12 heimlich
wochenlange Bootsausflüge gemacht und ist von einer 20 Meter hohen
Brücke gesprungen. Wolfgang hat im gleichen Alter mit anderen
Kindern Lagerfeuer gemacht, war Schwarzfischen und Kajakfahren ohne
Aufsicht. Wir sprechen über den Unterschied zu heute, wie Kinder
jetzt behütet und geschont werden.
Müde, voll von Geschichten und neuen
Ideen falle ich ins Bett. Was bleibt ist der Gedanke, dass es mehr
Spaß macht, Abenteuer zu erleben, als sich vor ihnen zu verstecken.
Und dass wir mit dem, was wir gerade tun, so in etwa mit einem
12jährigen Wolfgang mithalten können. Während der
durchschnittliche 12jährige nicht einmal zum Wandertag am Donauufer
spazieren darf, weil seine Eltern Angst vor den ungesunden Keimen
haben, die dort nach der Flutkatastrophe ihr Unwesen treiben.
TAG 8
Au – 6 km vor
Aschach
Als wir aufstehen, hat Wolfgang schon
gefrühstückt und ist 10 km Kajak gefahren – stromauf- und abwärts
wohlgemerkt. Beim Ablegen verabreden wir uns, wollen bei seinem
Clubhaus anlegen. Die Querfähre macht eine außerplanmäßige Kurve,
um uns zu fotografieren und zu winken. Die Längsfähre schafft es
zwei Mal an uns vorbei, lacht und feuert uns an.
Ein weiteres Kraftwerk, Aschach, rückt
näher, und wie Wolfgang es uns prophezeit hat, stockt die
Geschwindigkeit. Für den Abend wird Regen angekündigt. Weil uns die
Wirtschaft beim Wikingerdorf wieder Geld fürs Campen abknöpfen
will, rudern wir weiter, finden im richtigen Moment eine Stelle mit
wenig Fließgeschwindigkeit und mit im Wasser stehenden Bäumen, an
denen wir das Boot festmachen können. Wind kommt auf. Die Bremsen
stechen wie blöde. Sergio, der die meiste Zeit im Wasser steht, wird
brutal zerstochen. Er schlägt um sich und beginnt, sich mit
Donauschlamm einzureiben. Über und über olivgrün, nackt, trägt er
mit Umut unser Gepäck zu einer Stelle, wo wir neben dem Radweg die
Zelte aufstellen können. Ich bleibe im Boot, schöpfe das letzte
Wasser aus und mache es regensicher. Umut entfacht ein Feuer.
Sergio und ich gehen Holz suchen. Er
tarnfarben beschlammt, ich in Ringelshirt und Ringelunterhosen, ein
seltsames Paar beide triefend nass.
Umut kann bei Wind und bei Regen, mit
Papier und ohne Feuer machen, und zwar schnell. Wir kochen Nudeln in
der Glut. Verschlingen sie hungrig.
Unser Lager liegt direkt neben einem
roten Blinklicht, gegenüber auf der anderen Flussseite ist ein
grünes Blinklicht, auch neben ihm brennt ein Feuer. Lustig, gleiche
Idee, man fühlt sich so wild und weit weg von der Zivilisation, und
zugleich ist man doch immer noch in Rufweite. Wir schlafen, während
der Wind hart an unseren Zelten rupft. Selbst drinnen, sogar mit
geschlossenen Augen sehe ich es noch, das Licht: An. Aus. An. Aus.
An. Aus...
TAG 9
6 km vor Aschach – kurz
nach Aschach
Wieder eine Schleuse. Aschach. Danach
türmt sich Welle auf Welle, die Rekruten der Bundeswehr üben
Bootsmanöver. Wir stoppen, um Vorräte aufzufüllen. Sergio hält
das Boot fest und unterhält sich mit einem freundlichen Schwimmer.
Umut und ich gehen Einkaufen. Wieder ist Regen angesagt. Kurz nach
Aschach frischt der Wind auf. Wir sehen uns nach einem passenden Ort
um. Gerade zur rechten Zeit finden wir eine natürliche Bucht, zwei
Ruderboote liegen dort vor Anker. Es ist ein eins A Piratenstrand,
mit weichem Sand, Feuerstelle und schönen Weiden. Im tröpfelnden
Regen macht Umut sein Feuer, Sergio und ich befestigen das Boot, denn
wir erwarten ein Gewitter.
Ein wenig lässt uns der Regen in Ruhe,
wir können essen, trinken Rum, beobachten die aufregenden dunklen
Wolken am Himmel. Aus einem Baumblatt ziehe ich einen Angelhaken, wir
sind glücklich, schließlich wollen wir bald damit anfangen, Fische
zu fangen.
Der Wind wird stark, Regen kommt, mit
ihm große rötlichorange Nackschnecken, die groß sind. Im Dunkeln
trete ich auf einige von ihnen, bibbere angeekelt. Umut beobachtet
mit seiner Taschenlampe wie sie zäh und langsam versuchen an seinem
Zelt hochzuklettern. Sergio ist schon eingeschlafen, Umut und ich
bekommen plötzlich Sorge, dass wir unser Lager zu tief aufgeschlagen
haben, beim Unwetter das Wasser dorthin fließen könnte. Der Wind,
verstärkt durch die Pappeln in unserer Nähe, deren Blätter aus
einem Lüftchen ein Sturmbrausen machen, lässt uns noch länger im
Glauben, dass es mit der Flut bald so weit sei. Und ich überprüfe
einige Male mit der Taschenlampe den Wasserstand, bevor ich in den
Schlaf finde.
TAG 10
Nach Aschach - Puchenau bei Linz
Am Morgen sehen wir, dass kein Wasser
gekommen ist, es weniger geregnet hat als gedacht, aber dass zwei
Haken aus unserem Boot, an dem wir Taue befestigt hatten,
herausgebrochen sind. Wir sehen, dass wir unsere Befestigung
verbessern, die Wellen mehr beobachten und die richtige Position
optimieren müssen.
Wir schütteln die Schnecken aus
unserer Geschirrkiste, laden auf und paddeln los. Alessandra ruft an,
sie fliegt heute nach Wien und wir verabreden uns für den
übernächsten Tag in Linz. Der Wind steht günstig. Schnell kommen
wir zur Schleuse Ottensheim. Wir sind viel schneller unterwegs als
sonst, kurz vor der Schleuse. Diesmal müssen wir den Fluss zur
linken Seite überqueren. Ein Frachter verlässt das Kraftwerk und
wir rudern mit voller Kraft. Denken, dass wir es schaffen können. Er
hupt. Kommt zu nahe, wir drehen bei und er zieht an uns vorüber.
Davor haben wir diese Schiffe nur von der Seite gesehen, doch so
frontal, Auge in Auge, wird uns noch einmal mehr bewusst, dass wir
uns von ihnen tunlichst fernhalten müssen.
Den nächsten Frachter lässt die
Schleuse auf uns warten. Wir können kreuzen. Ein Motorboot kommt,
das steuernde Paar ist unglaublich freundlich, zieht uns am Tau in
die Schleuse und aus der Schleuse wieder hinaus. Sie schleppen uns
bis in die die beste Strömung.
Wir wissen, dass wir durch ihre Hilfe
in etwa einen halben Tag gewonnen haben und sind überglücklich.
Außerdem gibt es keine Bremsen mehr.
Schon zum späten Nachmittag hin sind
wir so nah vor Linz, das wir beschließen, noch einmal wild zu
campen. Am Ufer sind sandige Strände, Badende, viele Hundebesitzer.
Diesmal finden wir die beste und sicherste Position für Quetzal, wir
machen sie fest, Umut kümmert sich ums Feuer. Zum ersten Mal können
wir früher stoppen, nach einem kurzen Tag, noch frisch genug, um den
Abend zu genießen. Es ist noch hell.
Ruderer fahren auf und ab. Plötzlich
nähert sich ein Kajak, Jemand ruft: Umut, Umut! Wir sind irritiert,
doch als es direkt vor uns auf den Strand auffährt, erkennen wir
Wolfgang. Die Freude ist groß! Wie schön es ist, einfach so, auf
dem Fluss, andere Flussmenschen zu treffen! Er ist gerade mit seinem
Kajakkurs unterwegs, mal schnell eine halbe Stunde stromaufwärts,
dann stromabwärts fahren. Er erklärt uns noch einmal den genauen
Weg zum Clubhaus, dann legen sie wieder ab und wir suchen Holz für
unser langes Genussfeuer.
Bis in die Nacht hinein sitzen wir,
beobachten Frachter, die man im Dunklen kaum wahrnimmt,
Geisterschiffe, mit schwummrig funzelnden Vorder- und Rücklichtern.
Der Sand ist weiß und weich. Es wird spät, doch wir wissen, dass
wir morgen nur eine sehr kurze Strecke vor uns haben.
Wir sind ganz versunken, sitzen auf
einem liegenden Baumstamm, als drei Frachter nacheinander eine so
unverhoffte, so große Welle auslösen, dass sie unser Lagerfeuer
zerschlägt, das Holz im Wasser herumgewirbelt wird, wir rückwärts
vom Stamm fallen und in einer pitschnassen Pfütze verdattert gar
nicht verstehen, was uns passiert ist. Doch, wir haben schon
verstanden. Genug, die Party ist vorbei. Die Donau hat mein Kopftuch
und unser Öl geklaut. Am nächsten Morgen finden wir dafür einen
Kopf Salat, einen kleinen toten Fisch und einen weiteren Angelhaken.
Ein fairer Tausch.
TAG 11
Puchenau
bei Linz
Wir stehen spät auf, machen Peeling
mit Flusssand, Schwimmen und Joggen. Der Wind bläst aus der
richtigen Richtung und wir legen schnell die 5 km nach Linz zurück.
Am Kajakclub lassen wir uns im Garten nieder, dann hilft uns Wolfgang
und der junge David dabei, das Boot aus dem Wasser zu wuchten. Das
ist nicht einfach. Die Rampe ist rutschig, wir bräuchten mehr
Helfer, am besten einen Slipwagen. Wir improvisieren mit
Rundhölzern und rollen das Boot.
Unser Schwert ist verloren gegangen.
Beim Verschieben schwitzen wir Blut und Wasser, eine weitere
Beschädigung kann unsere Fahrt schnell Platzen lassen. Doch, wir
schaffen es. Wir sichern das Boot mit einem Tau und trinken
Feierabendbier mit Wolfgang.
Nachts sitze ich lange mit Umut am
Feuer. Wir reden über die Gruppendynamik, darüber, dass wir uns
aufeinander einspielen. Dass bis jetzt jeder schon mindestens einmal ungehalten darüber war, weil er glaubte, besser zu wissen, was der
andere tun müsse. Wir merken, dass wir alle über unsere Schatten
springen müssen. Dass die Konfrontation, die wir jeder für sich,
aber auch miteinander erleben, sehr extrem ist. Es hilft, wenn wir
offen sind, freundlich bleiben, uns der Risiken bewusst sind, dennoch
nicht vor Angst oder Wut den Kopf verlieren.
Nachts schwankt der Boden wieder. Doch
die Panik ist verfolgen. Ich bin zwar nicht ganz wach, bin noch immer
nicht sicher, ob ich nun auf dem Wasser bin, oder nicht. Diesmal weiß
ich mir zu helfen. Ich öffne ich den Reißverschluss an der Zelttür,
berühre den Boden. Dann lasse ihn so weit offen, dass ich im Liegen
jederzeit das Gras sehen kann und schlafe beruhigt wieder ein.
TAG 12
Linz
Wir schlafen. Erholen
uns. Waschen uns. Waschen das Boot. Wir reparieren den Spitzedeckel,
die Sitzbank und den Sonnenschirm. Die Sonne brennt vom Himmel. Wir
genießen, dass wir im Garten den ganzen Tag Schatten haben. Quetzal
liegt am Fluss auf der Seite und trocknet. Wolfgang lässt uns die
Werkzeuge aus dem Club benutzen, hat uns zwei alte Paddel geschenkt.
Er freut sich über unsere Hängematte und liegt erst mal ein
Stündchen darin Probe, ruht sich aus für seinen Kajakkurs.
Abends kommt Alessandra
an, die zuerst von Madrid nach Wien geflolgen und dann von Wien nach
Linz gefahren ist. Wir freuen uns sehr, dass sie endlich da ist!
Abends kommt der Nachbar
vorbei, fragt nach unseren Fortschritten und hilft uns mit Feuerholz
aus. Wir kochen Bohnen mit Speck im Feuer. Lisa ruft an, sie ist
mittags von Berlin aus losgetrampt und ist nun kurz vor Linz.
Gemeinsam laufen wir los, zum ersten Mal führen uns unsere Schritte
weiter vom Fluss weg, als je zuvor. Mein Gang ist schon O-beiniger
Seefahrergang geworden. Am Fluss leuchten grellbunte
Lichtinstallationen, wechseln ihre Farben von bläulich zu rötlich
zu grünlich. Wow! Großstadt!
Menschen führen
Mopshunde an der Leine, auf dem Hauptplatz leuchtet uns eine
metallene Sonne mit langen Strahlen entgegen. Ich spüre, rieche und
fühle Österreich. Es ist wie im Urlaub, es ist eindeutig „Ausland“.
Wir holen Lisa ab, und berichten Alessandra und ihr, was wir in der
ersten Woche erlebt haben. Ich auf Deutsch, Sergio auf Spanisch.
Danach sitzen wir lange am Feuer. Der erste Teil der Crew ist nun
komplett. Wir haben aufgegeben, uns zu beeilen, die Reise hat uns
gelehrt, die Geschwindigkeit links liegen zu lassen uns zu nehmen,
was der Fluss uns bringt.
Wolfgang weiht Umut
morgen ins Kajakfahren ein, abends werden wir alle von ihm zum
Drachenboottraining mitgenommen. Der Club besitzt ein original
chinesisches Drachenboot (mit Drachenkopf und Pauke, die den Takt
schlägt!) und bereitet sich gerade auf ein Rennen vor.
Jetzt ist es drei Uhr
morgens. Die anderen sind schlafen gegangen. Lisa und Umut kriechen
noch einmal kurz hervor. Sie dachten, das Feuer sei noch an, sie
hörten es knacken. Doch das Geräusch waren keine Flammen, sondern
meine Finger auf der Computertastatur. Hinter mir poltern Autos über
die Autobahnbrücke. Es ist kühl geworden. Links von mir, hinter dem
Büschen, der Fluss. Morgen hat er uns also wieder.
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