Freitag, 6. September 2013

TAG 42, Bootsverabschiedung.

Altarm bei Greifenstein. 

Am Morgen machen wir uns abfahrbereit.

Wir packen


Verpacken auch das Boot mit einer dreifachen Schicht Plastikplanen.

Bevor wir gehen, verabschieden wir uns von Anne-Marie. Die Paddel dürfen vorerst unter dem Kioskwagen liegen bleiben. Ich werde sie bald abholen, um sie zum Kloster Metten zurückzubringen. Anne-Marie fragt, wie wir weiter kommen. "Trampen?" Sie schüttelt den Kopf, umarmt uns und sagt: "Passt auf euch auf!"

Wir stehen am Straßenrand. In Israel, in Jordanien war das einfach, also sind wir zuversichtlich. Doch nach einer Stunde hat immer noch niemand angehalten. Die Fahrer blicken durch uns hindurch. Nur ein Mann auf einem Motorrad zuckt entschuldigend mit den Schultern.
Noch sehr viel länger zu warten, und irgendwann im Dunkeln zu stehen, ist keine Lösung. Also laufen wir lieber.

Wenige Minuten später finden wir einen Bahnhof und ich versuche den EC Karte doch noch ein Ticket abzuringen. Weil ich mich bei den Ausgaben grob verrechnet haben, herrscht leider Ebbe. Die S-Bahn kostet nur noch 4,20 Euro pro Person - doch das sprengt den Kreditrahmen. Verdammt..

Auf der Landkarte sieht es nach etwas zwischen 10 und 15 Kilometern Fußweg aus, unsere Beine sind jung und es ist noch früher Nachmittag. Es ist möglich, Wien am frühen Abend zu erreichen.

Kurz nach dem Bahnhof biegt ein Kleinbus mit einem jungen Paar auf die Hauptstraße vor uns ein. Ich habe flüchtig Blickkontakt mit dem Fahrer, er sieht freundlich aus, ich hebe den Daumen. Er hält sofort an und steigt aus, um uns auf dem Rücksitz, auf dem sich Körbe mit Obst und Gemüse drängen, Platz zu machen. Sagt: "Klar könnt ihr mitfahren!" 

Auf dem Beifahrersessel lacht uns seine Freundin an. Beide sind interessiert an unserer Geschichte und stellen Fragen. Freunde von ihnen, auch ein Paar, reisen auf ähnliche Art und Weise. Er ist Chilene, sie Österreicherin. Deshalb verstehen sie unseren Traum vom eigenen Boot, mit dem man auf dem Internationalen Gewässer der Donau Europa verlassen kann, sehr gut.

Nach kurzer Fahrt erreichen wir Wien. Sie lassen uns an der U-Bahn aussteigen und schenken uns zum Abschied eine Handvoll Zwetschgen.

Es ist 18.30 Uhr. Wir haben es geschafft. Und die Erschöpfung steigt in uns hoch. 


TAG 40-41, Zwei Tage am Altarm.

Altarm bei Greifenstein. 

Wir campieren im sandigen Wald, der immer niedriger werdende Wasserstand hilft uns und das Boot liegt schon nach der ersten Nacht mehr am Strand als im Wasser. So kann es einige Zeit überstehen, bis wir einen besseren Platz gefunden haben.

Ein letztes Mal Piratenleben.

Wir kochen Tee im Feuer.

Später ziehen wir das Boot mit einem ausgeklügelten System mit mehreren Tauen noch weiter nach oben.
Gegenüber gibt es ein schwimmendes Lokal und zwei Kioske.
Auf dem Berg am anderen Ufer tront eine Burg.
Das Lokal gegenüber heißt African Queen.
Von ihm aus kann man unser Boot am Strand liegen sehen.
Wenige Meter weiter finden wir einen sehr außergewöhnlichen Kiosk.
Der Besitzer heißt Friedel und mag Kuba.
Es gibt einen offenen Bücherschrank, zum Bücher Tauschen.

Es ist Sonntag. Wir haben Hunger. Der Kisokbesitzer, Friedel, hilft uns mit Nudeln und Milch aus. Wir können unseren Wasserkanister bei ihm auffüllen. Geld lehnt er ab, sagt: "Ist ein Geschenk!" 
Sein kleiner schwarzer Hund ist freundlich, läuft einige Meter mit uns mit, bringt Steine zum Apportieren. Plötzlich wirkt er aufgeregt, wittert etwas und fängt an ein tiefes Loch zu graben. Dabei "versinkt" er  buchstäblich in diese Tätigkeit und vergisst uns dabei. 
Friedels Mitarbeiterin Anne-Marie, eine sympatische Frau im Alter meiner Eltern - sehr geradeaus, stark und herzlich zugleich - fragt nach unserer Geschichte. Ich erzähle ihr vom Boot, davon, dass wir gerade auf Reisen sind und dass wir im letzten Jahr im Middle East waren. Sie meint: "Meine Güte, Kinder...? Und wo gehts jetzt hin?" -  "Istanbul", sagt Sergio. Sie fragt: "Sag mal, müsst ihr immer in die Krisengebiete?"

Dann wechseln wir das Thema, beratschlagen mit ihr, wie wir weiter vorgehen können. Zuerst einmal wollen wir die umliegende Umgebung abklappern. 

Am nächsten Tag suchen wir nach einem Ort, an dem wir unsere Schwimmwesten lassen dürfen. Passieren dabei einen skurrilen Bootsverleih...



--der freundlich ist, leider keinen Bedarf an unseren orangen Westen hat. Schließlich dürfen wir sie in einem Lokal  lassen, das Tretboote vermietet und sie nun ein Jahr lang den sporadisch auftauchenden Nichtschwimmern anbieten wird. Ihnen nützt es - und wir haben das Lagerproblem gelöst.

Gegen späten Nachmittag mache ich mich auf die Suche nach Essen. Ich habe keine Schuhe an, in der Hoffnung, dass es irgendwo in der Nähe etwas geben wird. Ein Geschäft bleibt unauffindbar, also frage ich in einem Lokal nach, ob sie uns dort Lebensmittel verkaufen können. Der Ober mustert mich mit kühlem stechenden Blick und sagt: "Nein." 

Er schickt mich ein paar Dörfer weiter zum Supermarkt. Ich bin zu schüchtern, um einfach an Haustüren zu klingeln, Privatleute um Brot und Milch zu bitten. Also lege ich die vier Kilometer barfuß zurück. Versuche unterwegs zu trampen. Keiner hält. Schade.
Kurz vor dem Ziel kann ich den Laden nirgends sehen. Eine Cafehauskellnerin mit Akzent zeigt mir freundlich die Richtung, ein Passant läuft mir hinterher, als ich falsch abbiege, ruft er mir den richtigen Weg zu.

Genug Zeit, um zu grübeln. 
Komisch, noch vor einigen Jahrzehnten war es Gang und Gäbe, weite Strecken barfuß zu laufen. Warum fühle ich mich jetzt seltsam nackt, arm oder auch: anarchisch? Vogelwild?
Wenn man ohne Schuhe läuft, ist man jetzt anscheinend irgendwie dubios.. 
Oder Gesundheitsfanatiker. Oder schusselig. 

In der Hausnummer 73 haben die Hausbewohner viel Kram im Garten, sieht nach Bastlern aus, und ein Schlingensief-Zitat am Zaun: "Bleib realistisch, plane ein Wunder." 

Als ich zum Altarm zurückkomme, ist bei Friedel eine Party. Djs legen auf und viele fröhliche Menschen wippen zur Elektromusik, während es langsam dunkel wird. Sergio sitzt am Strand gegenüber und entfacht das Feuer. Ich koche die ekelhafteste Mahlzeit der ganzen Fahrt: Reis mit zu viel Salz, halb gar. Dazu Nudeln, teils zu weich, teils hart und in Klumpen aneinanderklebend. An einer Sauce mit Tomaten aus der Dose und einer großen Prise Sand.  
Sergio und ich würgen etwas davon hungrig hinunter. Dann retten wir uns mit  Marmeladenbroten und Milch. 
Er schläft neben dem Feuer ein und ich gehe noch einmal zu Friedel, um Wasser zu holen. Die Party ist voller geworden und ausgelassener. Ich stehe etwas verloren, aber sehr zufrieden zwischen den Feiernden und bestaune die Feuertonnen, Visuals an den Wänden und die ausgelassen angeschwippsten Tänzer. Wie ein Geist, ohne Schuhe, mit meinem Wasserkanister sauge ich mich voll von den Bildern und der Stimmung. Dann ein schneller Dauerlauf durch den stockdunklen Wald, den Weg mehr fühlend als sehend, zurück zum Zelt. Innerlich tanzend.

Die Musik läuft weiter, bis es hell wird und der Gedanke, dass da drüben ein Haufen Leute Spaß und gute Laune hat, macht mich zufrieden und gibt mir gute Träume. 

Donnerstag, 5. September 2013

TAG 39, Letzte Fahrt.

Tulln - Greifenstein 

Am 4. Tag scheint die Sonne wieder.
Die S-Bahn bringt uns nach Tulln, nach kurzem Fußweg stehen wir vor der Quetzal, die vom Regen schwer geworden und hinten rechts arg abgesackt ist. Das Wasser lässt sich ausschöpfen, nach knappen 1,5 Stunden brechen wir auf.

Der Wind steht günstig. Ein bisschen foppt er uns, dreht immer wieder, kommt von links, rechts, links, rechts. Wir fahren zickzack, immerhin geht es so schneller - und was am Wichtigsten ist: Vorwärts und nicht Rückwärts.

Für die 10 Kilometer bis zur Schleuse brauchen wir nur vier Stunden.
Die Erinnerung an den Tag mit Sturm, an dem wir in zwei Stunden nur einen Kilometer weit kamen, rückt in weite Ferne, erscheint seltsam absurd.

Am Kraftwerk Greifenstein geraten wir an den ersten Beamten, der sich dafür interessiert, woher wir kommen. Ich bin sehr stolz, und sage: "Aus Deggendorf!" Er meint, er wundere sich nur, wie es sein könne, dass die anderen vor ihm uns so sang- und klanglos haben passieren lassen... Für so ein Gefährt verlange er normalerweise eine Sondergenehmigung. Schleusen könne er uns ausnahmsweise doch, jedoch nur, wenn wir den Ablauf für die anderen Schiffe nicht verzögern würden. Er bittet uns, das Boot bis knapp vor die Schleuse zu paddeln, in der Mitte zu halten und dann direkt nach dem nahenden Passagierschiff- schnell!! - in die Kammer einzufahren.

Das Schiff kommt nach wenigen Minuten. Es ist klein und windschnittig, langezogen und niedrig, mit schicken roten und blauen Beschleunigungsstreifen an den Seiten. Die Passagiere sitzen in Reihen hintereinander, wie in einem Bus oder Flugzeug. Ein bisschen sieht es aus wie ein Verkehrsmittel im Sciencefictionfilm. Durch die Heckscheibe sehen wir zwei Frauen, die ein Baby an den Händen halten, das auf seinen feisten Beinchen wacklig zu tanzen scheint. Wir winken. Sie winken. Lachen. Auf der Rückseite steht ihr Reiseziel: Bratislava.

Der Schleusenmann hat es eilig, das Wasser sinkt schneller als gewöhnlich. Wir sind zu dritt in der Kammer, ein Frachtschiff und die Bratislava-Rakete lassen die Motoren laufen und wir wackeln auf und ab, sind aber erfahren genug, um die Kontrolle über unser Boot zu behalten. 

Beim Ausfahren krächzt der Lautsprecher etwas Unverständliches, wir zucken mit den Schultern, der Beamte steckt den Kopf aus dem Fenster und wiederholt: "Gleich rechts halten!"

Auf die Schleuse hält bereits das nächste Schiff Kurs, wartet mit Sicherheitsabstand, wir sind also nicht in Gefahr. Trotzdem, paddeln wir so schnell wir können und biegen kurz nach der Schleuse endlich in den Altarm Greifenstein ein.


TAG 36-38, Warten.

Wien.

Es regnet. Es stürmt. Wir sitzen in der Wohnung und warten besseres Wetter ab.


Mittwoch, 4. September 2013

TAG 33 - 35, Der Sturm.

Wien und Tulln. 
 
DAS VORHABEN
Wir wollen das Boot von Altenwörth bis zum Altarm in Greifenstein, hinter der nächsten Schleuse, paddeln. Auf dem Weg will ich herausfinden, ob ich mir vorstellen kann, sogar noch etwas weiter zu rudern, vielleicht doch bis Bratislava? Umut kann nicht mehr mitkommen, wird morgen wieder nach Istanbul fliegen. Es wird unser erster Versuch werden, es nur zu Zweit zu bewegen.

Vielleicht sind meine Bedenken unbegründet, und ich kann es noch eine Woche länger genießen, Seemann zu sein? Sollte dem nicht so sein, wird die Quetzal im nächsten Altarm einige Zeit liegen bleiben, Sergio kann ausreisen und ich werde mich dann mit genügend Zeit weiter um das Boot kümmern.


 30 Flusskilometer liegen vor uns. Wir planen das in 3 Tagen zu schaffen.

WIEN - ALTENWÖRTH
Sergio und ich leihen uns zwei Fahrräder aus.
Der Vormittag ist vielversprechend sonnig, wir trödeln und erreichen das Boot am Nachmittag. Es steckt im Schlamm fest, so wie wir es zurückgelassen haben. Wenigstens ist kein Wasser eingedrungen. Sergio bereitet es auf den nächsten Tag vor, watet im zähen Matsch hin und her und wird davon unglaublich erschöpft. Ich koche im Lagerfeuer, nach dem Essen fallen wir ins Bett.

ALTENWÖRTH - TULLN
Am nächsten Morgen legen wir ab, noch immer ist es sonnig, mäßig windig, wir kommen bis Tulln gut voran. Leider verpassen wir eine Freundin, die zu uns stoßen wollte, weil unser Handyakku den Geist auf gibt. Gegen Abend ziehen dunkle Wolken auf, der Wind dreht und bläst uns ins Gesicht, weshalb wir kurz nach Tulln früher anlegen, als geplant, und uns neben dem Fahrradweg häuslich niederlassen. Immerhin haben wir es 19 km weit geschafft, haben nur noch 10 km bis zum nächsten Zwischenziel vor uns.
Außerdem zeigt sich, dass kaum mehr Wasser von unten ins Boot sickert. Ein Lichtblick!

TULLN
In der Nacht regnet es stark und es kühlt ab. Der Wind weht immer noch unerbittlich, von vorne. Wir verbringen den Tag im Zelt und essen Gugelhupf, hoffen auf besseres Wetter. Spaziergänger, die mehrmals täglich ihre Hunde am Donaufußweg an uns vorbei Gassi führen, wundern sich, dass wir nachmittags immer noch da sind: "Na, schlafen die??! Hallooooo!!!"
Wir rufen zurück: "Sind mit dem Boot unterwegs und warten besseren Wind ab..."
Sie antworten lakonisch: "Na, das wird morgen auch nicht besser...." und ziehen wieder ab.
Wir schlucken trocken.. Und schlafen früh ein.

TULLN. DER STURM
Am nächsten Tag ist es erst sonnig, doch bis wir alles gepackt haben, ziehen Wolken auf. Der Ostwind ist immer noch da, keine Aussicht auf Windstille. Wir beschließen, es trotzdem zu versuchen, 10 km sind schließlich nicht die Welt.

Auf dem Wasser sieht es schlimm aus. Die Wellen schlagen hoch, wie auf dem Meer. 

Quelle: www.wetter-infos.net
Zumindest fühlt sich das für mich so an... 

Der Wind schiebt uns, mit offenem Segel beträchtlich- mit geschlossenem aber kaum weniger unangenehm - hin und her. Man rudert mit voller Kraft - auf der Stelle. Verbissen strengen wir uns noch mehr an. Mein rechtes Handgelenk beginnt zu schmerzen, ich habe es vor einer Woche zu stark belastet. Sergio versucht uns vom Wasser aus schwimmend vorwärts zu ziehen. Die Donau ist kalt. Das Boot bewegt sich kaum. Ich fühle mich machtlos.Werde panisch.

In zwei Stunden kommen wir einen Kilometer weit.
Ich verliere die Nerven. Wir brechen ab.

Als wir das Boot festbinden, sind wir noch in Sichtweite zu unserem letzten Ankerplatz. Eine Stunde lang machen wir es wetterfest, bedecken das Schiff mit Plastikplanen. Danach nehmen wir die Räder und strampeln im immer stärker werdenden Regen am Fluss entlang, zurück Richtung Stadt. Knappe 30 km liegen noch vor uns. Auf halber Strecke stellen wir fest, dass wir das Fahrradschloss im Boot vergessen haben...
Glücklicherweise kommt eine Passantin mit Hund vorbei und leiht uns ihr Handy. Unsere Freund sind damit einverstanden, dass wir ihnen für die nächsten Tage ein anderes Schloss organisieren, also können wir weiterfahren und kommen abends, tropfnass, todmüde, wieder in Wien an.

Mein Blick fällt auf ein Plakat...

Quelle: www.derStandard.at
Naja...


Dienstag, 3. September 2013

TAG 32, Die Entscheidung. Der Plan. Teil II

Bild: Umut Vedat
... Fortsetzung vom Teil I

In einem Wiener Wohnzimmer. 


DER NEUE PLAN 
Die Quetzal ist kein schickes, schnelles, schnittiges Boot, aber zumindest fährt es, mit seinem gemächlichen Tempo, ganz gut die Donau runter.

Wenn wir die Zeit sehr viel großzügiger ansetzen, mehrere Sommer nacheinander, ein bis zwei Monate lang nur kleinen Teil der Strecke fahren, können wir vieles intensivieren. Wir werden mehr Fokus auf die Länder, Begegnungen, das was wir beobachten und wen wir treffen, legen. In jedem Land können wir beispielsweise einen neuen Mitfahrer an Bord nehmen. Und nach jedem Abschnitt die künstlerischen Auseinandersetzungen mit dem Erlebten präsentieren. Alles kann mit genügend Zeit weiter wachsen, sich entwickeln.

Ein anderer in der Runde, Robert, ist begeistert. Wie wir "alle in einem Boot" sitzen. Ihn fasziniert, dass die Crew sich aus Menschen zusammensetzt, die aus so unterschiedlichen Ländern kommen. Er denkt über Zuwanderung nach, über Rassismus, über die Parole: "Das Boot ist voll". Darüber, wie wir miteinander lernen und unsere unterschiedlichen Perspektiven auf Situationen schildern könnten. Themen, denen wir auf der Spur sind, für die beim Schiffsalltag, denn wir alle erst begreifen mussten, noch wenig Zeit blieb. Dieses Jahr haben wir gelernt, wie die Reise in etwa ablaufen kann, in der Zukunft können wir die neuen Erkenntnisse umsetzen. Warum also nicht das ganze Vorhaben verfeinern und mit genügend Vorlauf, Plan und Sponsoring wiederaufleben lassen?

Mit einem kleinen Budget können wir das Boot reparieren, vielleicht sogar noch ein anderes Schiff finden und restaurieren. Wir können besseres Equipment organisieren. Eine größere Öffentlichkeit erreichen. Mit dem Startpunkt in Wien liegen die meisten Schleusen hinter uns, der spannendere Teil der Reise noch vor uns. Nach Wien, da geht´s erst richtig los!

In der Runde finden sich genug, die sich vorstellen können im nächsten Jahr mitzuhelfen. Beim Renovieren. Beim Bauen. Das Gespräch zerfasert sich. Stunden später spielen zwei Schach in der verrauchten Küche und träumen noch immer von Tretbootantrieben und eigenem Bootsdesign. Der erste Funke ist übergesprungen, eine neue Gruppe hat Blut geleckt. Die Abmachungen bleibt irgendwo zwischen Euphorie und Traum hängen, noch unverbindlich.

Für uns dagegen, ist die Entscheidung gefallen. 

Das hier war der erste Testlauf.  

Das Boat to Istanbul wird im nächsten Jahr weiter schippern! 






TAG 32, Die Entscheidung. Die Optionen. Teil I

In einem Wiener Wohnzimmer.




Ein Kaffeebesuch bei Fiona Brady verlängert sich in den Abend hinein und ihr großes Wohnzimmer füllt sich nach und nach wie zufällig mit jungen Kreativen, die mit Musik, Film, Theater und bildender Kunst arbeiten.

Wir ergreifen die Gelegenheit, geben den Laptop mit Bildern von der Quetzal herum und berichten vom Projekt. Wir stellen die Frage in den Raum: Es sieht so aus, als müssten wir die Fahrt bald abbrechen. Der Herbst kommt, damit bald schlechter Wind und außerdem läuft Sergios Aufenthaltsgenehmigung ab. Bis Serbien kommen wir nicht mehr, sollten also besser den Schengenraum verlassen, so schnell wir können. Doch wie kann es mit dem Projekt weiter gehen? Gemeinsam fangen wir an herum zu spinnen.

Welche Möglichkeiten haben wir?

1. HAUPTSACHE DAS BOOT KOMMT NACH ISTANBUL
Wenn wir es allen Ernstes dieses Jahr noch zum Delta und dann nach Istanbul schaffen wollen, dann müssen wir das Boot per Frachtschiff oder LKW nach Istanbul zu karren. Dann würde die Geschichte ganz glatt aufgehen.

Das würde dann nur die Idee eines Bootes, das uns fast gratis trägt - einer Reise, in denen man den aufkommenden Problemen mutig und kreativ begegnet - ad absurdum führen.


2. IRONISCH BEHAUPTEN 
Während meiner Studienzeit in Wien war ich fasziniert von der seltsamen Türkenangst einiger Stadtbewohner. Mir war, als schlummerte die alte Angst, über Generationen hin schleichend weitervererbt, noch immer in ihnen: Wie sie vor Wien standen, die Türken, und dann, kurz vor dem totalen Desaster, doch noch abgezogen sind. Wenn man der rechtspopulistischen Partei FPÖ Glauben schenken mag, die im Wahljahr 2006 mit eindeutig türken- und islamfeindlichen Parolen warb, stand der erneute Angriff - eine "Istanbulisierung" Wiens - kurz bevor:

Quelle:  http://www.demokratiezentrum.org/bildung/lernmodule/migration/unterrichtssequenz-2.html

Einige Jahre sind vergangen, es gibt sie immer noch, die türkischen Bäcker und Gemüseläden. Es sind sicherlich mehr geworden - Wien hat sich also längst in Istanbul verwandelt. Wien IST Istanbul! Deshalb wäre es für mich sehr stimmig, das Boot in Wien zu lassen. Am liebsten auf dem Platz mitten vor der Karlskirche.



Quelle Bild: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/6/62/Karlskirche_Vienna_Front.jpg


Wir überlegen, wie wir es anstellen könnten, die Quetzal in einer Nacht- und Nebelaktion dorthin zu bringen. Wie das Boot dann da so stehen würde, still und stumm, als wäre es einfach so vom Himmel gefallen. Im Schiff ein kleiner Fernseher, auf dem Umuts Videos, Alessandras und Paidas Fotos zu sehen sind. Dahinter ein Schild mit der Aufschrift: "OH, WIE SCHÖN IST ISTANBUL!"

Nur- das Boot wiegt knappe 200 kg und nicht so leicht zu transportieren. Am Karlsplatz sind zu viele Kameras, um das unentdeckt machen zu können. Wir haben kein Geld, um einen Anhänger zu mieten und eine Strafe zu bezahlen, lassen die Idee also fallen.


Inspirationsquelle: www.beltz.de

3. VISUELL ÜBERWÄLTIGENDEN
Andere Ideen? Umut sagt, wie schon mehrmals davor: Oh ja, lasst es uns anzünden! Und ich filme, wie es langsam brennend den Fluss hinunter treibt...

4. PERSONIFIZIEREND ÜBERHÖHEN 
Ich sage: Ja, und dann sammeln wir die Asche ein und die tragen sie in einer Urne feierlich nach Istanbul!

Hm.. Mit den Optionen 2-4  hätten wir uns zwar mit einem kleinen Trick vorm totalen Scheitern unseres Plans "gerettet", aber das vernichtet, was Sergio und ich in langer Arbeit geschaffen haben. Ein Boot, das funktioniert, wieder fahrtüchtig gemacht werden kann. Das Projekt so hart abzubrechen, wäre also irgendwie verschenkt.
.......

[Weiter geht es im Text: TAG 32, Die Entscheidung. Der Plan. Teil II!]



Sonntag, 1. September 2013

TAG 30, Denkpause in den Alpen.

Niederösterreich, Ötscher 

Weil wir in Österreich sind, und es in Österreich hohe Berge gibt, gehen wir wandern. Gemeinsam mit Fiona Brady und Andi erklimmen wir den Ötscher.