Dienstag, 21. Juli 2015

BLICK ZURÜCK






Bilder: Daniel Paida Larsen


Die Reise dauerte sechs Wochen, von denen die Mannschaft drei Wochen auf dem Wasser verbracht hat. Die Quetzal legte im Juli 2013 in Metten bei Kilometer 2290 ab, und kam im September kurz vor Wien, am  Flusskilometer 1948 an. Insgesamt hat sie also 342 km zurückgelegt.

Die fehlenden 1948 km bis zum Delta schafft man mit einem leichten Kanu in vier Wochen.

Warum war das Boot so langsam?
Das lag vor allem an den elf Schleusen, die durchfahren werden mussten. Österreich setzt auf Wasserkraft. Das bedeutet, dass die Donau vor jeder Schleuse aufgestaut wird, und die Fließgeschwindigkeit immer mehr abgebremst wird, bis sie der Fluss beinahe still steht. Das Boot hatte außerdem ein hohes Eigengewicht (ca. 300 kg) und wurde allein durch Muskelkraft und ein improvisiertes Segel angetrieben. Dazu kam ein Schiffbruch, Reparaturpausen und der Herbstwind, der zum Ende hin konsequent von vorne kam.

Das Prinzip von Quetzal-Boat to Istanbul war es, auf Gegebenheiten zu reagieren, und Lösungen für Herausforderungen zu finden, die sich der Mannschaft stellten. An dem Boot auch dann noch festzuhalten, als klar wurde, dass es zu langsam vorwärts kam, stellte sich als Fehler heraus.

Mit Ablaufen des Visums eines der Mitfahrer, zu einem Zeitpunkt, als sich das Boot noch immer innerhalb der EU befand, war eine schnelle Entscheidung nötig. Der Traum von der Überwindung von Grenzen traf auf harte Realität und es knackte. Gemeinsam in einem Boot zu bleiben, war nicht mehr möglich. Am Ende teilten sich die Wege der Mitfahrer wieder. Für den visalosen Mexikaner, den man hatte außer Landes bringen wollen, fielen Optionen wie zu Trampen, einen Zug oder einen Bus zu nehmen aus. Es hätte gut gehen können - er hätte aber zum Beispiel auch Autofahrer an der Grenze in unangenehme Situationen bringen können. So flog er direkt nach Istanbul. Klingt weniger romantisch, half aber, Ärger zu vermeiden.

Montag, 13. Januar 2014

QUETZAL: MIT DEM BOOT NACH ISTANBUL?


Straubinger Tagblatt, Januar 2014
Quetzal: Mit dem Boot nach Istanbul?
Zusammenfassung einer verrückten Donau-Reise
Von Fiona Ebner

Warum Sergio und ich eigentlich ein Boot gebaut haben? Mir fiel auf, wie viele Menschen um mich herum mutloser wurden. Sie hatten das Gefühl, die Welt stecke in einer Krise, man müsse deshalb mehr auf Sicherheit setzen. Die Perspektiven schienen eingeschränkt, das Bild von der Zukunft rabenschwarz. Ich schlug das Wort nach und las, dass „Krise“ einfach nur „Entscheidung“ bedeutet. Klare Entscheidungen trifft man Besten, wenn man keine Furcht hat. Angst verliert man, wenn man sich selbst beweist, dass man etwas kann, das einem zunächst unmöglich erschien. Also dachte ich mir, es wäre genau der richtige Moment, um eine Mutprobe zu machen, nach der man sich stark fühlt, so dass einen nichts mehr umwerfen kann. Wir nahmen uns also vor, ein Boot aus Recyclingmaterial zu bauen und mit ihm dann die gesamte Donau bis zum Delta zu befahren. Danach sollte es nach Istanbul gebracht und ausgestellt werden.

Die Reise war ein Selbstversuch. Ich stellte folgende Behauptungen auf:
1. Man kann mehr, als man denkt.
2. Man braucht weniger, als man meint.
3. In schweren Zeiten werden Menschen nicht bitter, sondern helfen einander.

Wir wollten mit so wenig Geld wie möglich auskommen, und Schwierigkeiten nicht als Probleme, sondern als Herausforderungen begreifen, für die wir Lösungen finden können. Das klang alles schön – doch würde es wirklich aufgehen?

Am 21. Juli 2013 legte die Quetzal in Metten ab. An Bord waren Sergio aus Mexiko, Umut aus Istanbul und ich. Es war Wochenende, und es ging auf der Donau zu wie am Stachus. Der Stapellauf war zugleich die erste Testfahrt, wir hatten noch keine Ahnung vom Steuern und dem nötigen Quäntchen Teamarbeit. Fuhren Zickzack. Meine Familie und die netten Menschen vom Motorbootclub Metten, von deren Kai wir ablegten, winkten beklommen.

Zusammenraufen
Zu dritt ein Boot zu lenken, ist gar nicht so einfach. Immer wieder stritten wir. Bis Umut erklärte: Er würde ab jetzt einfach nur noch Befehle ausführen, es habe keinen Sinn, wenn jeder der Kapitän sein wolle. Wer sollte das Steuer übernehmen? Ich war schon mehrere Male Kanu gefahren und fand, meine Erfahrung sei von Nutzen. Leider paarte sich mein Fachwissen mit einer Phobie vor hohen Wellen und großen Schiffen, die plötzliche Sprachaussetzer zur Folge hatten und meine Entscheidungsfähigkeit dummerweise genau in den Momenten lähmte, in denen ein schnell herausgebelltes Piratenkommando nötig gewesen wäre. Bei jedem starken Wackeln- zum Beispiel wenn sich jemand ohne Vorwarnung bewegte und das Boot Schlagseite bekam - wurde ich nervös und zurrte mit schreckgeweiteten Augen meine Rettungsweste fester. Umut und Sergio machten sich über mich lustig und nannten mich hysterisch.

Zwei Wochen vergingen. Die Donau war uns Straße, Badewanne, Swimmingpool und Abspülbecken zugleich. Abends campten wir am Strand. Das war zwar fast überall verboten, wird aber geduldet, wenn
man keinen Dreck machte. Wir wollten die Umwelt mit Respekt behandeln.
Nachts kamen die Mücken in Scharen. So wie sie stachen, glaube ich, dass die Natur sich ganz gut bei uns bedient hat und wir nicht mehr in ihrer Schuld stehen. Glücklicherweise war Umut der Meister der gut kontrollierten rauchigen Flamme. Er entfachte jeden Abend ein erstklassiges Lagerfeuer, auf dem gekocht wurde und das die Insekten vertrieb.

Flussmenschen
Wir wurden zu Flussmenschen. Unsere Körper veränderten sich wirklich. Umut, Sergio und ich gingen O-beiniger als zuvor, unsere Haut wurde dunkler. Nach wenigen Tagen auf der Donau schwankte der Boden beim Landgang. Mein Gleichgewichtssinn spielte verrückt. In der Nacht schreckte ich oft panisch hoch – in einem Zustand zwischen Schlafen und Wachsein – und war mir sicher, dass sich der Boden unter mir heftig bewegte. Vielleicht, weil wir gar nicht an Land, sondern noch auf dem Wasser waren? Das erste Mal jammerte und stöhnte ich noch und riss panisch an den Zelttüren.

Zwei Wochen lang bewegten wir uns kaum mehr als 50 Meter vom Wasser weg. Verstanden den Fluss immer besser und wurden sicherer. Wir lernten Gefahren einzuschätzen, fuhren vorausschauend, stritten weniger und wurden friedlicher. Wir gewöhnten uns an ein Leben in der Natur, Sand und Rauchgeschmack im Essen.
Eine Sache, die mir dennoch Kopfzerbrechen bereitete, war unsere Geschwindigkeit. Wir paddelten etwa fünf Stunden am Tag und dümpelten dabei dennoch nur dahin. Das ließ sich nicht ändern, sich aufzuregen half gar nicht weiter. Ich übergab mich der Entschleunigung. Fahrradfahrer und Jogger im Seniorenalter zogen an uns vor bei, ich lächelte milde und winkte bedächtig mit königlich erhobener Hand, im Stil der Queen Mum.
In Linz konnten wir durch die Unterstützung des Kajakvereins endlich eine kleine Reparatur durchführen. Mit Glasfaser und Polyesterspachtel klebten wir ein kleines Loch am Kiel zu. Eine Lage Panzertape sollte Steinstöße abfangen. Der zweite Teil der Mannschaft reiste an. Paida, ein Künstler aus Norwegen, Lisa, eine Dramaturgiestudentin aus Leipzig und  Alessandra, eine Fotografin aus Mexiko. Sie wollten sich mit uns auf ein Abenteuer einlassen, zwischen einer und fünf Wochen an Bord bleiben.

Schiffbruch
Linz verließen wir fröhlich singend und strotzten nur so vor Tatendrang. Doch dann, nachdem alles drei Wochen lang außerordentlich gutgegangen war, kam das böse Erwachen. Der Wasserspiegel im Inneren stieg hurtig, sehr viel schneller sogar noch als vor der Reparatur.
Kurz nach Linz ging das Boot fast unter. Das alte Leck hatte sich anscheinend nicht abdichten lassen und sich beim ins Wasser Setzen durch ruppigen Kontakte mit Steinen sogar noch verschlimmert. Nach zwei Kilometern Fahrt legten wir notgedrungen wieder am Ufer an und verbrachten eine mulmige Nacht im Auwald.
Auf der anderen Flussseite wummerte und glühte ein Stahlwerk. Unsere Füße steckten im weichen Sand, den das Hochwasser im Juni zwischen die Bäume gedrückt hatte. Es war stockdunkel. Alle schwiegen betreten. Ich ging zum Fluss, saß lange am Strand und betrachtete das Boot. Es war unklar, wie es weitergehen würde. Innerlich verabschiedete ich mich und fing an darüber nachzudenken, was ich stattdessen tun wollte. Nach Istanbul trampen? Zurück nach Deutschland fahren?

Hilfe vom Jachtclub
Am nächsten Tag entschied das Glück. Wir bekamen Hilfe vom zwei Kilometer weiter gelegenen Motorboot- und Jachtclub Steyregg. Enrico, ein freundlicher Motorbootfahrer, schleppte die Quetzal in den Hafen. Unser Schiffbruch wurde als willkommene Abwechslung angesehen. Die Clubmitglieder hörten sich unsere verrückte Geschichte an, verzogen lachend die Gesichter und unterstützten uns dann großzügig mit Unterkunft und Reparaturmaterial. Sie zogen das Schiff mit einem Slipwagen aus der Donau und stellten es zum Trocknen in die Sonne. Als wir zwei Tage später darunter lagen, versuchten, über Kopf zu arbeiten und uns dabei eine gehörige Portion Polyesterharz in die Haare schmierten, beobachtete uns Franz, ein Schiffsbesitzer um die fünfzig, der vor ein paar Jahren selbst einmal bis zum Delta gefahren war. Er runzelte die Stirn. Dann erklärte er, dass das so niemals gut gehen würde. Eine Nacht schlief er darüber, weckte uns dann frühmorgens und brachte die Quetzal in seine Firma, wo er ihren Kiel und Boden auf seine Kosten mit einer vierfachen Schicht Glasfaser und auflaminiertem Blech verstärken ließ. Verdattert von so viel Großzügigkeit bedankten wir uns vielmals. Nun konnte die Reise weiter gehen.

Bedürftigkeit
Franz hatte uns gern geholfen. Ich fragte mich, woran das lag. Wurde selbstkritisch: Unsere misslicheLage, das arg  improvisierte Boot, weckten Mitleid und Helferinstinkt. Ein wenig fahrlässig kam es mir nun vor, sich wissentlich in schwierige Situationen zu begeben, und so lange an der Katastrophe vorbei zu schrammen, bis sich jemand erbarmt. Ich begann darüber nachzudenken, wie unabhängig wir wirklich waren. Im Endeffekt lebten wir außerdem ja gar nicht „ohne Geld“. Wir bekamen Geschenke. Mir kam es langsam heuchlerisch vor, so zu tun, als seien wir dabei unabhängiger, als Menschen, die jeden Tag zur Arbeit gehen. Wir profitierten davon, dass sie es taten, da kann man sich nichts vormachen. Mir wurde klar, dass ich nicht für immer so unterwegs sein wollte.

August
Alessandra verließ uns, ihr Urlaub war aufgebraucht. Der Rest der Gruppe raufte sich gut zusammen und Routine stellte sich ein: Morgens aufstehen, Zelte abbauen, Boot beladen. Den Tag über paddeln. Abends einen Liegeplatz finden. Zelte aufstellen. Feuer machen, kochen. Schlafen. Das war sehr eintönig und wurde mit der Zeit sogar langweilig. Umut erklärte, er habe sich wirklich alle Mühe gegeben, wäre gerne bis zum Schluss dabei geblieben, könne sich aber kaum mehr dazu motivieren. Er sei gerade deshalb freischaffender Foto- und Videojournalist geworden, weil er Routine nicht ertrage. Den anderen
ging es ähnlich. Sie brauchten eine Pause, Abwechslung.

Keine Mitfahrer mehr
Anfang September waren nur noch Sergio und ich an Bord. Die Situation war angespannt. Sergios Visum war bereits abgelaufen. Weil die Donau als internationales Gewässer gilt, hatte er davon geträumt, als Durchreisender auf dem Wasser keine Probleme wegen des Aufenthaltsrechts zu bekommen. Er hatte um jeden Preis frei und unabhängig sein wollen. Die Visabestimmungen machten ihn unfrei, und dem konnte er sich nicht entziehen, egal wie sehr er auch noch an sich und das Projekt glaubte. Traum traf auf Realität und es knackte.

Unser konsumkritisches Vagabundenleben stieß an seine Grenzen. Also lieh ich mir Geld für Sergio, er nahm den nächsten billigen Flug nach Istanbul und verschwand so schnell aus meinem Leben, wie er hineingekommen war.

Die Moral
Natürlich könnte man jetzt sagen: Wir haben nicht auf die Leute gehört, die uns schon von Anfang an prophezeit haben, dass wir es nicht schaffen werden. Wir waren naiv. Wir haben unser Ziel nicht erreicht, sind nicht in Istanbul gelandet. Man könnte sagen: Wir sind gescheitert.
Und trotzdem ist genau das passiert, was ich mir erhofft hatte: Wir haben mehr geschafft, als wir gemeint hätten, weniger gebraucht als gedacht, als Gruppe schwierige Situationen gelöst und wurden von Wildfremden unterstützt – einfach nur, weil sie wollten, dass unsere Geschichte ein Happy End bekommt.
Durch unsere Naivität, den Willen, etwas Verrücktes zu tun, gemischt mit einer Prise Größenwahnsinn,
haben wir eine unglaublich intensive Zeit erlebt.



Freitag, 6. September 2013

TAG 42, Bootsverabschiedung.

Altarm bei Greifenstein. 

Am Morgen machen wir uns abfahrbereit.

Wir packen


Verpacken auch das Boot mit einer dreifachen Schicht Plastikplanen.

Bevor wir gehen, verabschieden wir uns von Anne-Marie. Die Paddel dürfen vorerst unter dem Kioskwagen liegen bleiben. Ich werde sie bald abholen, um sie zum Kloster Metten zurückzubringen. Anne-Marie fragt, wie wir weiter kommen. "Trampen?" Sie schüttelt den Kopf, umarmt uns und sagt: "Passt auf euch auf!"

Wir stehen am Straßenrand. In Israel, in Jordanien war das einfach, also sind wir zuversichtlich. Doch nach einer Stunde hat immer noch niemand angehalten. Die Fahrer blicken durch uns hindurch. Nur ein Mann auf einem Motorrad zuckt entschuldigend mit den Schultern.
Noch sehr viel länger zu warten, und irgendwann im Dunkeln zu stehen, ist keine Lösung. Also laufen wir lieber.

Wenige Minuten später finden wir einen Bahnhof und ich versuche den EC Karte doch noch ein Ticket abzuringen. Weil ich mich bei den Ausgaben grob verrechnet haben, herrscht leider Ebbe. Die S-Bahn kostet nur noch 4,20 Euro pro Person - doch das sprengt den Kreditrahmen. Verdammt..

Auf der Landkarte sieht es nach etwas zwischen 10 und 15 Kilometern Fußweg aus, unsere Beine sind jung und es ist noch früher Nachmittag. Es ist möglich, Wien am frühen Abend zu erreichen.

Kurz nach dem Bahnhof biegt ein Kleinbus mit einem jungen Paar auf die Hauptstraße vor uns ein. Ich habe flüchtig Blickkontakt mit dem Fahrer, er sieht freundlich aus, ich hebe den Daumen. Er hält sofort an und steigt aus, um uns auf dem Rücksitz, auf dem sich Körbe mit Obst und Gemüse drängen, Platz zu machen. Sagt: "Klar könnt ihr mitfahren!" 

Auf dem Beifahrersessel lacht uns seine Freundin an. Beide sind interessiert an unserer Geschichte und stellen Fragen. Freunde von ihnen, auch ein Paar, reisen auf ähnliche Art und Weise. Er ist Chilene, sie Österreicherin. Deshalb verstehen sie unseren Traum vom eigenen Boot, mit dem man auf dem Internationalen Gewässer der Donau Europa verlassen kann, sehr gut.

Nach kurzer Fahrt erreichen wir Wien. Sie lassen uns an der U-Bahn aussteigen und schenken uns zum Abschied eine Handvoll Zwetschgen.

Es ist 18.30 Uhr. Wir haben es geschafft. Und die Erschöpfung steigt in uns hoch. 


TAG 40-41, Zwei Tage am Altarm.

Altarm bei Greifenstein. 

Wir campieren im sandigen Wald, der immer niedriger werdende Wasserstand hilft uns und das Boot liegt schon nach der ersten Nacht mehr am Strand als im Wasser. So kann es einige Zeit überstehen, bis wir einen besseren Platz gefunden haben.

Ein letztes Mal Piratenleben.

Wir kochen Tee im Feuer.

Später ziehen wir das Boot mit einem ausgeklügelten System mit mehreren Tauen noch weiter nach oben.
Gegenüber gibt es ein schwimmendes Lokal und zwei Kioske.
Auf dem Berg am anderen Ufer tront eine Burg.
Das Lokal gegenüber heißt African Queen.
Von ihm aus kann man unser Boot am Strand liegen sehen.
Wenige Meter weiter finden wir einen sehr außergewöhnlichen Kiosk.
Der Besitzer heißt Friedel und mag Kuba.
Es gibt einen offenen Bücherschrank, zum Bücher Tauschen.

Es ist Sonntag. Wir haben Hunger. Der Kisokbesitzer, Friedel, hilft uns mit Nudeln und Milch aus. Wir können unseren Wasserkanister bei ihm auffüllen. Geld lehnt er ab, sagt: "Ist ein Geschenk!" 
Sein kleiner schwarzer Hund ist freundlich, läuft einige Meter mit uns mit, bringt Steine zum Apportieren. Plötzlich wirkt er aufgeregt, wittert etwas und fängt an ein tiefes Loch zu graben. Dabei "versinkt" er  buchstäblich in diese Tätigkeit und vergisst uns dabei. 
Friedels Mitarbeiterin Anne-Marie, eine sympatische Frau im Alter meiner Eltern - sehr geradeaus, stark und herzlich zugleich - fragt nach unserer Geschichte. Ich erzähle ihr vom Boot, davon, dass wir gerade auf Reisen sind und dass wir im letzten Jahr im Middle East waren. Sie meint: "Meine Güte, Kinder...? Und wo gehts jetzt hin?" -  "Istanbul", sagt Sergio. Sie fragt: "Sag mal, müsst ihr immer in die Krisengebiete?"

Dann wechseln wir das Thema, beratschlagen mit ihr, wie wir weiter vorgehen können. Zuerst einmal wollen wir die umliegende Umgebung abklappern. 

Am nächsten Tag suchen wir nach einem Ort, an dem wir unsere Schwimmwesten lassen dürfen. Passieren dabei einen skurrilen Bootsverleih...



--der freundlich ist, leider keinen Bedarf an unseren orangen Westen hat. Schließlich dürfen wir sie in einem Lokal  lassen, das Tretboote vermietet und sie nun ein Jahr lang den sporadisch auftauchenden Nichtschwimmern anbieten wird. Ihnen nützt es - und wir haben das Lagerproblem gelöst.

Gegen späten Nachmittag mache ich mich auf die Suche nach Essen. Ich habe keine Schuhe an, in der Hoffnung, dass es irgendwo in der Nähe etwas geben wird. Ein Geschäft bleibt unauffindbar, also frage ich in einem Lokal nach, ob sie uns dort Lebensmittel verkaufen können. Der Ober mustert mich mit kühlem stechenden Blick und sagt: "Nein." 

Er schickt mich ein paar Dörfer weiter zum Supermarkt. Ich bin zu schüchtern, um einfach an Haustüren zu klingeln, Privatleute um Brot und Milch zu bitten. Also lege ich die vier Kilometer barfuß zurück. Versuche unterwegs zu trampen. Keiner hält. Schade.
Kurz vor dem Ziel kann ich den Laden nirgends sehen. Eine Cafehauskellnerin mit Akzent zeigt mir freundlich die Richtung, ein Passant läuft mir hinterher, als ich falsch abbiege, ruft er mir den richtigen Weg zu.

Genug Zeit, um zu grübeln. 
Komisch, noch vor einigen Jahrzehnten war es Gang und Gäbe, weite Strecken barfuß zu laufen. Warum fühle ich mich jetzt seltsam nackt, arm oder auch: anarchisch? Vogelwild?
Wenn man ohne Schuhe läuft, ist man jetzt anscheinend irgendwie dubios.. 
Oder Gesundheitsfanatiker. Oder schusselig. 

In der Hausnummer 73 haben die Hausbewohner viel Kram im Garten, sieht nach Bastlern aus, und ein Schlingensief-Zitat am Zaun: "Bleib realistisch, plane ein Wunder." 

Als ich zum Altarm zurückkomme, ist bei Friedel eine Party. Djs legen auf und viele fröhliche Menschen wippen zur Elektromusik, während es langsam dunkel wird. Sergio sitzt am Strand gegenüber und entfacht das Feuer. Ich koche die ekelhafteste Mahlzeit der ganzen Fahrt: Reis mit zu viel Salz, halb gar. Dazu Nudeln, teils zu weich, teils hart und in Klumpen aneinanderklebend. An einer Sauce mit Tomaten aus der Dose und einer großen Prise Sand.  
Sergio und ich würgen etwas davon hungrig hinunter. Dann retten wir uns mit  Marmeladenbroten und Milch. 
Er schläft neben dem Feuer ein und ich gehe noch einmal zu Friedel, um Wasser zu holen. Die Party ist voller geworden und ausgelassener. Ich stehe etwas verloren, aber sehr zufrieden zwischen den Feiernden und bestaune die Feuertonnen, Visuals an den Wänden und die ausgelassen angeschwippsten Tänzer. Wie ein Geist, ohne Schuhe, mit meinem Wasserkanister sauge ich mich voll von den Bildern und der Stimmung. Dann ein schneller Dauerlauf durch den stockdunklen Wald, den Weg mehr fühlend als sehend, zurück zum Zelt. Innerlich tanzend.

Die Musik läuft weiter, bis es hell wird und der Gedanke, dass da drüben ein Haufen Leute Spaß und gute Laune hat, macht mich zufrieden und gibt mir gute Träume. 

Donnerstag, 5. September 2013

TAG 39, Letzte Fahrt.

Tulln - Greifenstein 

Am 4. Tag scheint die Sonne wieder.
Die S-Bahn bringt uns nach Tulln, nach kurzem Fußweg stehen wir vor der Quetzal, die vom Regen schwer geworden und hinten rechts arg abgesackt ist. Das Wasser lässt sich ausschöpfen, nach knappen 1,5 Stunden brechen wir auf.

Der Wind steht günstig. Ein bisschen foppt er uns, dreht immer wieder, kommt von links, rechts, links, rechts. Wir fahren zickzack, immerhin geht es so schneller - und was am Wichtigsten ist: Vorwärts und nicht Rückwärts.

Für die 10 Kilometer bis zur Schleuse brauchen wir nur vier Stunden.
Die Erinnerung an den Tag mit Sturm, an dem wir in zwei Stunden nur einen Kilometer weit kamen, rückt in weite Ferne, erscheint seltsam absurd.

Am Kraftwerk Greifenstein geraten wir an den ersten Beamten, der sich dafür interessiert, woher wir kommen. Ich bin sehr stolz, und sage: "Aus Deggendorf!" Er meint, er wundere sich nur, wie es sein könne, dass die anderen vor ihm uns so sang- und klanglos haben passieren lassen... Für so ein Gefährt verlange er normalerweise eine Sondergenehmigung. Schleusen könne er uns ausnahmsweise doch, jedoch nur, wenn wir den Ablauf für die anderen Schiffe nicht verzögern würden. Er bittet uns, das Boot bis knapp vor die Schleuse zu paddeln, in der Mitte zu halten und dann direkt nach dem nahenden Passagierschiff- schnell!! - in die Kammer einzufahren.

Das Schiff kommt nach wenigen Minuten. Es ist klein und windschnittig, langezogen und niedrig, mit schicken roten und blauen Beschleunigungsstreifen an den Seiten. Die Passagiere sitzen in Reihen hintereinander, wie in einem Bus oder Flugzeug. Ein bisschen sieht es aus wie ein Verkehrsmittel im Sciencefictionfilm. Durch die Heckscheibe sehen wir zwei Frauen, die ein Baby an den Händen halten, das auf seinen feisten Beinchen wacklig zu tanzen scheint. Wir winken. Sie winken. Lachen. Auf der Rückseite steht ihr Reiseziel: Bratislava.

Der Schleusenmann hat es eilig, das Wasser sinkt schneller als gewöhnlich. Wir sind zu dritt in der Kammer, ein Frachtschiff und die Bratislava-Rakete lassen die Motoren laufen und wir wackeln auf und ab, sind aber erfahren genug, um die Kontrolle über unser Boot zu behalten. 

Beim Ausfahren krächzt der Lautsprecher etwas Unverständliches, wir zucken mit den Schultern, der Beamte steckt den Kopf aus dem Fenster und wiederholt: "Gleich rechts halten!"

Auf die Schleuse hält bereits das nächste Schiff Kurs, wartet mit Sicherheitsabstand, wir sind also nicht in Gefahr. Trotzdem, paddeln wir so schnell wir können und biegen kurz nach der Schleuse endlich in den Altarm Greifenstein ein.


TAG 36-38, Warten.

Wien.

Es regnet. Es stürmt. Wir sitzen in der Wohnung und warten besseres Wetter ab.


Mittwoch, 4. September 2013

TAG 33 - 35, Der Sturm.

Wien und Tulln. 
 
DAS VORHABEN
Wir wollen das Boot von Altenwörth bis zum Altarm in Greifenstein, hinter der nächsten Schleuse, paddeln. Auf dem Weg will ich herausfinden, ob ich mir vorstellen kann, sogar noch etwas weiter zu rudern, vielleicht doch bis Bratislava? Umut kann nicht mehr mitkommen, wird morgen wieder nach Istanbul fliegen. Es wird unser erster Versuch werden, es nur zu Zweit zu bewegen.

Vielleicht sind meine Bedenken unbegründet, und ich kann es noch eine Woche länger genießen, Seemann zu sein? Sollte dem nicht so sein, wird die Quetzal im nächsten Altarm einige Zeit liegen bleiben, Sergio kann ausreisen und ich werde mich dann mit genügend Zeit weiter um das Boot kümmern.


 30 Flusskilometer liegen vor uns. Wir planen das in 3 Tagen zu schaffen.

WIEN - ALTENWÖRTH
Sergio und ich leihen uns zwei Fahrräder aus.
Der Vormittag ist vielversprechend sonnig, wir trödeln und erreichen das Boot am Nachmittag. Es steckt im Schlamm fest, so wie wir es zurückgelassen haben. Wenigstens ist kein Wasser eingedrungen. Sergio bereitet es auf den nächsten Tag vor, watet im zähen Matsch hin und her und wird davon unglaublich erschöpft. Ich koche im Lagerfeuer, nach dem Essen fallen wir ins Bett.

ALTENWÖRTH - TULLN
Am nächsten Morgen legen wir ab, noch immer ist es sonnig, mäßig windig, wir kommen bis Tulln gut voran. Leider verpassen wir eine Freundin, die zu uns stoßen wollte, weil unser Handyakku den Geist auf gibt. Gegen Abend ziehen dunkle Wolken auf, der Wind dreht und bläst uns ins Gesicht, weshalb wir kurz nach Tulln früher anlegen, als geplant, und uns neben dem Fahrradweg häuslich niederlassen. Immerhin haben wir es 19 km weit geschafft, haben nur noch 10 km bis zum nächsten Zwischenziel vor uns.
Außerdem zeigt sich, dass kaum mehr Wasser von unten ins Boot sickert. Ein Lichtblick!

TULLN
In der Nacht regnet es stark und es kühlt ab. Der Wind weht immer noch unerbittlich, von vorne. Wir verbringen den Tag im Zelt und essen Gugelhupf, hoffen auf besseres Wetter. Spaziergänger, die mehrmals täglich ihre Hunde am Donaufußweg an uns vorbei Gassi führen, wundern sich, dass wir nachmittags immer noch da sind: "Na, schlafen die??! Hallooooo!!!"
Wir rufen zurück: "Sind mit dem Boot unterwegs und warten besseren Wind ab..."
Sie antworten lakonisch: "Na, das wird morgen auch nicht besser...." und ziehen wieder ab.
Wir schlucken trocken.. Und schlafen früh ein.

TULLN. DER STURM
Am nächsten Tag ist es erst sonnig, doch bis wir alles gepackt haben, ziehen Wolken auf. Der Ostwind ist immer noch da, keine Aussicht auf Windstille. Wir beschließen, es trotzdem zu versuchen, 10 km sind schließlich nicht die Welt.

Auf dem Wasser sieht es schlimm aus. Die Wellen schlagen hoch, wie auf dem Meer. 

Quelle: www.wetter-infos.net
Zumindest fühlt sich das für mich so an... 

Der Wind schiebt uns, mit offenem Segel beträchtlich- mit geschlossenem aber kaum weniger unangenehm - hin und her. Man rudert mit voller Kraft - auf der Stelle. Verbissen strengen wir uns noch mehr an. Mein rechtes Handgelenk beginnt zu schmerzen, ich habe es vor einer Woche zu stark belastet. Sergio versucht uns vom Wasser aus schwimmend vorwärts zu ziehen. Die Donau ist kalt. Das Boot bewegt sich kaum. Ich fühle mich machtlos.Werde panisch.

In zwei Stunden kommen wir einen Kilometer weit.
Ich verliere die Nerven. Wir brechen ab.

Als wir das Boot festbinden, sind wir noch in Sichtweite zu unserem letzten Ankerplatz. Eine Stunde lang machen wir es wetterfest, bedecken das Schiff mit Plastikplanen. Danach nehmen wir die Räder und strampeln im immer stärker werdenden Regen am Fluss entlang, zurück Richtung Stadt. Knappe 30 km liegen noch vor uns. Auf halber Strecke stellen wir fest, dass wir das Fahrradschloss im Boot vergessen haben...
Glücklicherweise kommt eine Passantin mit Hund vorbei und leiht uns ihr Handy. Unsere Freund sind damit einverstanden, dass wir ihnen für die nächsten Tage ein anderes Schloss organisieren, also können wir weiterfahren und kommen abends, tropfnass, todmüde, wieder in Wien an.

Mein Blick fällt auf ein Plakat...

Quelle: www.derStandard.at
Naja...