Montag, 13. Januar 2014

QUETZAL: MIT DEM BOOT NACH ISTANBUL?


Straubinger Tagblatt, Januar 2014
Quetzal: Mit dem Boot nach Istanbul?
Zusammenfassung einer verrückten Donau-Reise
Von Fiona Ebner

Warum Sergio und ich eigentlich ein Boot gebaut haben? Mir fiel auf, wie viele Menschen um mich herum mutloser wurden. Sie hatten das Gefühl, die Welt stecke in einer Krise, man müsse deshalb mehr auf Sicherheit setzen. Die Perspektiven schienen eingeschränkt, das Bild von der Zukunft rabenschwarz. Ich schlug das Wort nach und las, dass „Krise“ einfach nur „Entscheidung“ bedeutet. Klare Entscheidungen trifft man Besten, wenn man keine Furcht hat. Angst verliert man, wenn man sich selbst beweist, dass man etwas kann, das einem zunächst unmöglich erschien. Also dachte ich mir, es wäre genau der richtige Moment, um eine Mutprobe zu machen, nach der man sich stark fühlt, so dass einen nichts mehr umwerfen kann. Wir nahmen uns also vor, ein Boot aus Recyclingmaterial zu bauen und mit ihm dann die gesamte Donau bis zum Delta zu befahren. Danach sollte es nach Istanbul gebracht und ausgestellt werden.

Die Reise war ein Selbstversuch. Ich stellte folgende Behauptungen auf:
1. Man kann mehr, als man denkt.
2. Man braucht weniger, als man meint.
3. In schweren Zeiten werden Menschen nicht bitter, sondern helfen einander.

Wir wollten mit so wenig Geld wie möglich auskommen, und Schwierigkeiten nicht als Probleme, sondern als Herausforderungen begreifen, für die wir Lösungen finden können. Das klang alles schön – doch würde es wirklich aufgehen?

Am 21. Juli 2013 legte die Quetzal in Metten ab. An Bord waren Sergio aus Mexiko, Umut aus Istanbul und ich. Es war Wochenende, und es ging auf der Donau zu wie am Stachus. Der Stapellauf war zugleich die erste Testfahrt, wir hatten noch keine Ahnung vom Steuern und dem nötigen Quäntchen Teamarbeit. Fuhren Zickzack. Meine Familie und die netten Menschen vom Motorbootclub Metten, von deren Kai wir ablegten, winkten beklommen.

Zusammenraufen
Zu dritt ein Boot zu lenken, ist gar nicht so einfach. Immer wieder stritten wir. Bis Umut erklärte: Er würde ab jetzt einfach nur noch Befehle ausführen, es habe keinen Sinn, wenn jeder der Kapitän sein wolle. Wer sollte das Steuer übernehmen? Ich war schon mehrere Male Kanu gefahren und fand, meine Erfahrung sei von Nutzen. Leider paarte sich mein Fachwissen mit einer Phobie vor hohen Wellen und großen Schiffen, die plötzliche Sprachaussetzer zur Folge hatten und meine Entscheidungsfähigkeit dummerweise genau in den Momenten lähmte, in denen ein schnell herausgebelltes Piratenkommando nötig gewesen wäre. Bei jedem starken Wackeln- zum Beispiel wenn sich jemand ohne Vorwarnung bewegte und das Boot Schlagseite bekam - wurde ich nervös und zurrte mit schreckgeweiteten Augen meine Rettungsweste fester. Umut und Sergio machten sich über mich lustig und nannten mich hysterisch.

Zwei Wochen vergingen. Die Donau war uns Straße, Badewanne, Swimmingpool und Abspülbecken zugleich. Abends campten wir am Strand. Das war zwar fast überall verboten, wird aber geduldet, wenn
man keinen Dreck machte. Wir wollten die Umwelt mit Respekt behandeln.
Nachts kamen die Mücken in Scharen. So wie sie stachen, glaube ich, dass die Natur sich ganz gut bei uns bedient hat und wir nicht mehr in ihrer Schuld stehen. Glücklicherweise war Umut der Meister der gut kontrollierten rauchigen Flamme. Er entfachte jeden Abend ein erstklassiges Lagerfeuer, auf dem gekocht wurde und das die Insekten vertrieb.

Flussmenschen
Wir wurden zu Flussmenschen. Unsere Körper veränderten sich wirklich. Umut, Sergio und ich gingen O-beiniger als zuvor, unsere Haut wurde dunkler. Nach wenigen Tagen auf der Donau schwankte der Boden beim Landgang. Mein Gleichgewichtssinn spielte verrückt. In der Nacht schreckte ich oft panisch hoch – in einem Zustand zwischen Schlafen und Wachsein – und war mir sicher, dass sich der Boden unter mir heftig bewegte. Vielleicht, weil wir gar nicht an Land, sondern noch auf dem Wasser waren? Das erste Mal jammerte und stöhnte ich noch und riss panisch an den Zelttüren.

Zwei Wochen lang bewegten wir uns kaum mehr als 50 Meter vom Wasser weg. Verstanden den Fluss immer besser und wurden sicherer. Wir lernten Gefahren einzuschätzen, fuhren vorausschauend, stritten weniger und wurden friedlicher. Wir gewöhnten uns an ein Leben in der Natur, Sand und Rauchgeschmack im Essen.
Eine Sache, die mir dennoch Kopfzerbrechen bereitete, war unsere Geschwindigkeit. Wir paddelten etwa fünf Stunden am Tag und dümpelten dabei dennoch nur dahin. Das ließ sich nicht ändern, sich aufzuregen half gar nicht weiter. Ich übergab mich der Entschleunigung. Fahrradfahrer und Jogger im Seniorenalter zogen an uns vor bei, ich lächelte milde und winkte bedächtig mit königlich erhobener Hand, im Stil der Queen Mum.
In Linz konnten wir durch die Unterstützung des Kajakvereins endlich eine kleine Reparatur durchführen. Mit Glasfaser und Polyesterspachtel klebten wir ein kleines Loch am Kiel zu. Eine Lage Panzertape sollte Steinstöße abfangen. Der zweite Teil der Mannschaft reiste an. Paida, ein Künstler aus Norwegen, Lisa, eine Dramaturgiestudentin aus Leipzig und  Alessandra, eine Fotografin aus Mexiko. Sie wollten sich mit uns auf ein Abenteuer einlassen, zwischen einer und fünf Wochen an Bord bleiben.

Schiffbruch
Linz verließen wir fröhlich singend und strotzten nur so vor Tatendrang. Doch dann, nachdem alles drei Wochen lang außerordentlich gutgegangen war, kam das böse Erwachen. Der Wasserspiegel im Inneren stieg hurtig, sehr viel schneller sogar noch als vor der Reparatur.
Kurz nach Linz ging das Boot fast unter. Das alte Leck hatte sich anscheinend nicht abdichten lassen und sich beim ins Wasser Setzen durch ruppigen Kontakte mit Steinen sogar noch verschlimmert. Nach zwei Kilometern Fahrt legten wir notgedrungen wieder am Ufer an und verbrachten eine mulmige Nacht im Auwald.
Auf der anderen Flussseite wummerte und glühte ein Stahlwerk. Unsere Füße steckten im weichen Sand, den das Hochwasser im Juni zwischen die Bäume gedrückt hatte. Es war stockdunkel. Alle schwiegen betreten. Ich ging zum Fluss, saß lange am Strand und betrachtete das Boot. Es war unklar, wie es weitergehen würde. Innerlich verabschiedete ich mich und fing an darüber nachzudenken, was ich stattdessen tun wollte. Nach Istanbul trampen? Zurück nach Deutschland fahren?

Hilfe vom Jachtclub
Am nächsten Tag entschied das Glück. Wir bekamen Hilfe vom zwei Kilometer weiter gelegenen Motorboot- und Jachtclub Steyregg. Enrico, ein freundlicher Motorbootfahrer, schleppte die Quetzal in den Hafen. Unser Schiffbruch wurde als willkommene Abwechslung angesehen. Die Clubmitglieder hörten sich unsere verrückte Geschichte an, verzogen lachend die Gesichter und unterstützten uns dann großzügig mit Unterkunft und Reparaturmaterial. Sie zogen das Schiff mit einem Slipwagen aus der Donau und stellten es zum Trocknen in die Sonne. Als wir zwei Tage später darunter lagen, versuchten, über Kopf zu arbeiten und uns dabei eine gehörige Portion Polyesterharz in die Haare schmierten, beobachtete uns Franz, ein Schiffsbesitzer um die fünfzig, der vor ein paar Jahren selbst einmal bis zum Delta gefahren war. Er runzelte die Stirn. Dann erklärte er, dass das so niemals gut gehen würde. Eine Nacht schlief er darüber, weckte uns dann frühmorgens und brachte die Quetzal in seine Firma, wo er ihren Kiel und Boden auf seine Kosten mit einer vierfachen Schicht Glasfaser und auflaminiertem Blech verstärken ließ. Verdattert von so viel Großzügigkeit bedankten wir uns vielmals. Nun konnte die Reise weiter gehen.

Bedürftigkeit
Franz hatte uns gern geholfen. Ich fragte mich, woran das lag. Wurde selbstkritisch: Unsere misslicheLage, das arg  improvisierte Boot, weckten Mitleid und Helferinstinkt. Ein wenig fahrlässig kam es mir nun vor, sich wissentlich in schwierige Situationen zu begeben, und so lange an der Katastrophe vorbei zu schrammen, bis sich jemand erbarmt. Ich begann darüber nachzudenken, wie unabhängig wir wirklich waren. Im Endeffekt lebten wir außerdem ja gar nicht „ohne Geld“. Wir bekamen Geschenke. Mir kam es langsam heuchlerisch vor, so zu tun, als seien wir dabei unabhängiger, als Menschen, die jeden Tag zur Arbeit gehen. Wir profitierten davon, dass sie es taten, da kann man sich nichts vormachen. Mir wurde klar, dass ich nicht für immer so unterwegs sein wollte.

August
Alessandra verließ uns, ihr Urlaub war aufgebraucht. Der Rest der Gruppe raufte sich gut zusammen und Routine stellte sich ein: Morgens aufstehen, Zelte abbauen, Boot beladen. Den Tag über paddeln. Abends einen Liegeplatz finden. Zelte aufstellen. Feuer machen, kochen. Schlafen. Das war sehr eintönig und wurde mit der Zeit sogar langweilig. Umut erklärte, er habe sich wirklich alle Mühe gegeben, wäre gerne bis zum Schluss dabei geblieben, könne sich aber kaum mehr dazu motivieren. Er sei gerade deshalb freischaffender Foto- und Videojournalist geworden, weil er Routine nicht ertrage. Den anderen
ging es ähnlich. Sie brauchten eine Pause, Abwechslung.

Keine Mitfahrer mehr
Anfang September waren nur noch Sergio und ich an Bord. Die Situation war angespannt. Sergios Visum war bereits abgelaufen. Weil die Donau als internationales Gewässer gilt, hatte er davon geträumt, als Durchreisender auf dem Wasser keine Probleme wegen des Aufenthaltsrechts zu bekommen. Er hatte um jeden Preis frei und unabhängig sein wollen. Die Visabestimmungen machten ihn unfrei, und dem konnte er sich nicht entziehen, egal wie sehr er auch noch an sich und das Projekt glaubte. Traum traf auf Realität und es knackte.

Unser konsumkritisches Vagabundenleben stieß an seine Grenzen. Also lieh ich mir Geld für Sergio, er nahm den nächsten billigen Flug nach Istanbul und verschwand so schnell aus meinem Leben, wie er hineingekommen war.

Die Moral
Natürlich könnte man jetzt sagen: Wir haben nicht auf die Leute gehört, die uns schon von Anfang an prophezeit haben, dass wir es nicht schaffen werden. Wir waren naiv. Wir haben unser Ziel nicht erreicht, sind nicht in Istanbul gelandet. Man könnte sagen: Wir sind gescheitert.
Und trotzdem ist genau das passiert, was ich mir erhofft hatte: Wir haben mehr geschafft, als wir gemeint hätten, weniger gebraucht als gedacht, als Gruppe schwierige Situationen gelöst und wurden von Wildfremden unterstützt – einfach nur, weil sie wollten, dass unsere Geschichte ein Happy End bekommt.
Durch unsere Naivität, den Willen, etwas Verrücktes zu tun, gemischt mit einer Prise Größenwahnsinn,
haben wir eine unglaublich intensive Zeit erlebt.