Straubinger Tagblatt, Januar 2014
Quetzal: Mit dem Boot nach Istanbul?
Zusammenfassung einer verrückten Donau-Reise
Von Fiona Ebner
Warum Sergio und ich eigentlich ein Boot gebaut haben? Mir fiel
auf, wie viele Menschen um mich herum mutloser wurden. Sie hatten das Gefühl,
die Welt stecke in einer Krise, man müsse deshalb mehr auf Sicherheit setzen.
Die Perspektiven schienen eingeschränkt, das Bild von der Zukunft rabenschwarz.
Ich schlug das Wort nach und las, dass „Krise“ einfach nur „Entscheidung“ bedeutet.
Klare Entscheidungen trifft man Besten, wenn man keine Furcht hat. Angst
verliert man, wenn man sich selbst beweist, dass man etwas kann, das einem
zunächst unmöglich erschien. Also dachte ich mir, es wäre genau der richtige
Moment, um eine Mutprobe zu machen, nach der man sich stark fühlt, so dass
einen nichts mehr umwerfen kann. Wir nahmen uns also vor, ein Boot aus
Recyclingmaterial zu bauen und mit ihm dann die gesamte Donau bis zum Delta zu
befahren. Danach sollte es nach Istanbul gebracht und ausgestellt werden.
Die Reise war ein Selbstversuch. Ich stellte folgende
Behauptungen auf:
1. Man kann mehr, als man denkt.
2. Man braucht weniger, als man meint.
3. In schweren Zeiten werden Menschen nicht bitter, sondern
helfen einander.
Wir wollten mit so wenig Geld wie möglich auskommen, und
Schwierigkeiten nicht als Probleme, sondern als Herausforderungen begreifen,
für die wir Lösungen finden können. Das klang alles schön – doch würde es
wirklich aufgehen?
Am 21. Juli 2013
legte die Quetzal in Metten ab. An Bord waren Sergio aus Mexiko, Umut aus
Istanbul und ich. Es war Wochenende, und es ging auf der Donau zu wie am
Stachus. Der Stapellauf war zugleich die erste Testfahrt, wir hatten noch keine
Ahnung vom Steuern und dem nötigen Quäntchen Teamarbeit. Fuhren Zickzack. Meine
Familie und die netten Menschen vom Motorbootclub Metten, von deren Kai wir
ablegten, winkten beklommen.
Zusammenraufen
Zu dritt ein Boot
zu lenken, ist gar nicht so einfach. Immer wieder stritten wir. Bis Umut
erklärte: Er würde ab jetzt einfach nur noch Befehle ausführen, es habe keinen
Sinn, wenn jeder der Kapitän sein wolle. Wer sollte das Steuer übernehmen? Ich
war schon mehrere Male Kanu gefahren und fand, meine Erfahrung sei von Nutzen.
Leider paarte sich mein Fachwissen mit einer Phobie vor hohen Wellen und großen
Schiffen, die plötzliche Sprachaussetzer zur Folge hatten und meine
Entscheidungsfähigkeit dummerweise genau in den Momenten lähmte, in denen ein
schnell herausgebelltes Piratenkommando nötig gewesen wäre. Bei jedem starken
Wackeln- zum Beispiel wenn sich jemand ohne Vorwarnung bewegte und das Boot
Schlagseite bekam - wurde ich nervös und zurrte mit schreckgeweiteten Augen
meine Rettungsweste fester. Umut und Sergio machten sich über mich lustig und
nannten mich hysterisch.
Zwei Wochen
vergingen. Die Donau war uns Straße, Badewanne, Swimmingpool und Abspülbecken
zugleich. Abends campten wir am Strand. Das war zwar fast überall verboten,
wird aber geduldet, wenn
man keinen Dreck
machte. Wir wollten die Umwelt mit Respekt behandeln.
Nachts kamen die
Mücken in Scharen. So wie sie stachen, glaube ich, dass die Natur sich ganz gut
bei uns bedient hat und wir nicht mehr in ihrer Schuld stehen. Glücklicherweise
war Umut der Meister der gut kontrollierten rauchigen Flamme. Er entfachte
jeden Abend ein erstklassiges Lagerfeuer, auf dem gekocht wurde und das die
Insekten vertrieb.
Flussmenschen
Wir wurden zu
Flussmenschen. Unsere Körper veränderten sich wirklich. Umut, Sergio und ich
gingen O-beiniger als zuvor, unsere Haut wurde dunkler. Nach wenigen Tagen auf
der Donau schwankte der Boden beim Landgang. Mein Gleichgewichtssinn spielte
verrückt. In der Nacht schreckte ich oft panisch hoch – in einem Zustand
zwischen Schlafen und Wachsein – und war mir sicher, dass sich der Boden unter
mir heftig bewegte. Vielleicht, weil wir gar nicht an Land, sondern noch auf
dem Wasser waren? Das erste Mal jammerte und stöhnte ich noch und riss panisch
an den Zelttüren.
Zwei Wochen lang
bewegten wir uns kaum mehr als 50 Meter vom Wasser weg. Verstanden den Fluss immer
besser und wurden sicherer. Wir lernten Gefahren einzuschätzen, fuhren
vorausschauend, stritten weniger und
wurden friedlicher. Wir gewöhnten uns an ein Leben in der Natur, Sand und
Rauchgeschmack im Essen.
Eine Sache, die
mir dennoch Kopfzerbrechen bereitete, war unsere Geschwindigkeit. Wir paddelten
etwa fünf Stunden am Tag und dümpelten dabei dennoch nur dahin. Das ließ sich
nicht ändern, sich aufzuregen half gar nicht weiter. Ich übergab mich der
Entschleunigung. Fahrradfahrer und Jogger im Seniorenalter zogen an uns vor
bei, ich lächelte milde und winkte bedächtig mit königlich erhobener Hand, im Stil
der Queen Mum.
In Linz konnten
wir durch die Unterstützung des Kajakvereins endlich eine kleine Reparatur durchführen.
Mit Glasfaser und Polyesterspachtel klebten wir ein kleines Loch am Kiel zu.
Eine Lage Panzertape sollte Steinstöße abfangen. Der zweite Teil der Mannschaft
reiste an. Paida, ein Künstler aus Norwegen, Lisa, eine Dramaturgiestudentin aus
Leipzig und Alessandra, eine Fotografin aus Mexiko. Sie wollten sich mit uns
auf ein Abenteuer einlassen, zwischen einer und fünf Wochen an Bord bleiben.
Schiffbruch
Linz verließen
wir fröhlich singend und strotzten nur so vor Tatendrang. Doch dann, nachdem
alles drei Wochen lang außerordentlich gutgegangen war, kam das böse Erwachen. Der
Wasserspiegel im Inneren stieg hurtig,
sehr viel schneller sogar noch als vor der Reparatur.
Kurz nach Linz
ging das Boot fast unter. Das alte Leck hatte sich anscheinend nicht abdichten
lassen und sich beim ins
Wasser Setzen durch ruppigen Kontakte mit Steinen sogar noch verschlimmert. Nach
zwei Kilometern Fahrt legten wir notgedrungen wieder am Ufer an und verbrachten
eine mulmige Nacht im Auwald.
Auf der anderen
Flussseite wummerte und glühte ein Stahlwerk. Unsere Füße steckten im weichen Sand,
den das Hochwasser im Juni zwischen die Bäume gedrückt hatte. Es war
stockdunkel. Alle schwiegen betreten. Ich
ging zum Fluss, saß lange am Strand und betrachtete das Boot. Es war unklar,
wie es weitergehen würde. Innerlich verabschiedete ich mich und fing an darüber
nachzudenken, was ich stattdessen tun wollte. Nach Istanbul trampen? Zurück
nach Deutschland fahren?
Hilfe vom Jachtclub
Am nächsten Tag
entschied das Glück. Wir bekamen Hilfe vom zwei Kilometer weiter gelegenen
Motorboot- und Jachtclub Steyregg. Enrico, ein freundlicher Motorbootfahrer, schleppte
die Quetzal in den Hafen. Unser
Schiffbruch wurde als willkommene Abwechslung angesehen. Die Clubmitglieder
hörten sich unsere verrückte
Geschichte an, verzogen lachend die Gesichter und unterstützten uns dann
großzügig mit Unterkunft
und Reparaturmaterial. Sie zogen das Schiff mit einem Slipwagen aus der Donau
und stellten es zum
Trocknen in die Sonne. Als wir zwei Tage später darunter lagen, versuchten,
über Kopf zu arbeiten und uns
dabei eine gehörige Portion Polyesterharz in die Haare schmierten, beobachtete
uns Franz, ein
Schiffsbesitzer um die fünfzig, der vor ein paar Jahren selbst einmal bis zum
Delta gefahren war. Er runzelte
die Stirn. Dann erklärte er, dass das so niemals gut gehen würde. Eine Nacht
schlief er darüber, weckte
uns dann frühmorgens und brachte die Quetzal in seine Firma, wo er ihren Kiel
und Boden auf seine Kosten
mit einer vierfachen Schicht Glasfaser und auflaminiertem Blech verstärken
ließ. Verdattert von so
viel Großzügigkeit bedankten wir uns vielmals. Nun konnte die Reise weiter
gehen.
Bedürftigkeit
Franz hatte uns
gern geholfen. Ich fragte mich, woran das lag. Wurde selbstkritisch: Unsere
misslicheLage, das arg
improvisierte Boot, weckten Mitleid und Helferinstinkt. Ein wenig fahrlässig
kam es mir nun vor, sich
wissentlich in schwierige Situationen zu begeben, und so lange an der
Katastrophe vorbei zu schrammen, bis
sich jemand erbarmt. Ich begann darüber nachzudenken, wie unabhängig wir
wirklich waren. Im
Endeffekt lebten wir außerdem ja gar nicht „ohne Geld“. Wir bekamen Geschenke.
Mir kam es langsam
heuchlerisch vor, so zu tun, als seien wir dabei unabhängiger, als Menschen,
die jeden Tag zur Arbeit gehen. Wir
profitierten davon, dass sie es taten, da kann man sich nichts vormachen. Mir
wurde klar, dass ich nicht für immer so unterwegs sein wollte.
August
Alessandra
verließ uns, ihr Urlaub war aufgebraucht. Der Rest der Gruppe raufte sich gut
zusammen und Routine stellte
sich ein: Morgens aufstehen, Zelte abbauen, Boot beladen. Den Tag über paddeln. Abends einen
Liegeplatz finden. Zelte aufstellen. Feuer machen, kochen. Schlafen. Das war
sehr eintönig und wurde mit der
Zeit sogar langweilig. Umut erklärte, er habe sich wirklich alle Mühe gegeben, wäre
gerne bis zum Schluss dabei geblieben, könne sich aber kaum mehr dazu
motivieren. Er sei gerade deshalb
freischaffender Foto- und Videojournalist geworden, weil er Routine nicht
ertrage. Den anderen
ging es ähnlich.
Sie brauchten eine Pause, Abwechslung.
Keine Mitfahrer mehr
Anfang September
waren nur noch Sergio und ich an Bord. Die Situation war angespannt. Sergios Visum
war bereits abgelaufen. Weil die Donau als internationales Gewässer gilt, hatte
er davon geträumt, als Durchreisender auf dem Wasser keine Probleme wegen des Aufenthaltsrechts
zu bekommen. Er hatte um jeden Preis frei und unabhängig sein wollen. Die
Visabestimmungen machten ihn unfrei, und dem konnte er sich nicht entziehen, egal
wie sehr er auch noch an sich und das Projekt glaubte. Traum traf auf Realität
und es knackte.
Unser
konsumkritisches Vagabundenleben stieß an seine Grenzen. Also lieh ich mir Geld
für Sergio, er nahm den nächsten billigen Flug nach Istanbul und verschwand so
schnell aus meinem Leben, wie er hineingekommen war.
Die Moral
Natürlich könnte
man jetzt sagen: Wir haben nicht auf die Leute gehört, die uns schon von Anfang
an prophezeit haben, dass wir es nicht schaffen werden. Wir waren naiv. Wir
haben unser Ziel nicht erreicht, sind nicht in
Istanbul gelandet. Man könnte sagen: Wir sind gescheitert.
Und trotzdem ist
genau das passiert, was ich mir erhofft hatte: Wir haben mehr geschafft, als
wir gemeint hätten, weniger
gebraucht als gedacht, als Gruppe schwierige Situationen gelöst und wurden von Wildfremden
unterstützt – einfach nur, weil sie wollten, dass unsere Geschichte ein Happy
End bekommt.
Durch unsere
Naivität, den Willen, etwas Verrücktes zu tun, gemischt mit einer Prise
Größenwahnsinn,
haben wir eine
unglaublich intensive Zeit erlebt.