Freitag, 6. September 2013

TAG 40-41, Zwei Tage am Altarm.

Altarm bei Greifenstein. 

Wir campieren im sandigen Wald, der immer niedriger werdende Wasserstand hilft uns und das Boot liegt schon nach der ersten Nacht mehr am Strand als im Wasser. So kann es einige Zeit überstehen, bis wir einen besseren Platz gefunden haben.

Ein letztes Mal Piratenleben.

Wir kochen Tee im Feuer.

Später ziehen wir das Boot mit einem ausgeklügelten System mit mehreren Tauen noch weiter nach oben.
Gegenüber gibt es ein schwimmendes Lokal und zwei Kioske.
Auf dem Berg am anderen Ufer tront eine Burg.
Das Lokal gegenüber heißt African Queen.
Von ihm aus kann man unser Boot am Strand liegen sehen.
Wenige Meter weiter finden wir einen sehr außergewöhnlichen Kiosk.
Der Besitzer heißt Friedel und mag Kuba.
Es gibt einen offenen Bücherschrank, zum Bücher Tauschen.

Es ist Sonntag. Wir haben Hunger. Der Kisokbesitzer, Friedel, hilft uns mit Nudeln und Milch aus. Wir können unseren Wasserkanister bei ihm auffüllen. Geld lehnt er ab, sagt: "Ist ein Geschenk!" 
Sein kleiner schwarzer Hund ist freundlich, läuft einige Meter mit uns mit, bringt Steine zum Apportieren. Plötzlich wirkt er aufgeregt, wittert etwas und fängt an ein tiefes Loch zu graben. Dabei "versinkt" er  buchstäblich in diese Tätigkeit und vergisst uns dabei. 
Friedels Mitarbeiterin Anne-Marie, eine sympatische Frau im Alter meiner Eltern - sehr geradeaus, stark und herzlich zugleich - fragt nach unserer Geschichte. Ich erzähle ihr vom Boot, davon, dass wir gerade auf Reisen sind und dass wir im letzten Jahr im Middle East waren. Sie meint: "Meine Güte, Kinder...? Und wo gehts jetzt hin?" -  "Istanbul", sagt Sergio. Sie fragt: "Sag mal, müsst ihr immer in die Krisengebiete?"

Dann wechseln wir das Thema, beratschlagen mit ihr, wie wir weiter vorgehen können. Zuerst einmal wollen wir die umliegende Umgebung abklappern. 

Am nächsten Tag suchen wir nach einem Ort, an dem wir unsere Schwimmwesten lassen dürfen. Passieren dabei einen skurrilen Bootsverleih...



--der freundlich ist, leider keinen Bedarf an unseren orangen Westen hat. Schließlich dürfen wir sie in einem Lokal  lassen, das Tretboote vermietet und sie nun ein Jahr lang den sporadisch auftauchenden Nichtschwimmern anbieten wird. Ihnen nützt es - und wir haben das Lagerproblem gelöst.

Gegen späten Nachmittag mache ich mich auf die Suche nach Essen. Ich habe keine Schuhe an, in der Hoffnung, dass es irgendwo in der Nähe etwas geben wird. Ein Geschäft bleibt unauffindbar, also frage ich in einem Lokal nach, ob sie uns dort Lebensmittel verkaufen können. Der Ober mustert mich mit kühlem stechenden Blick und sagt: "Nein." 

Er schickt mich ein paar Dörfer weiter zum Supermarkt. Ich bin zu schüchtern, um einfach an Haustüren zu klingeln, Privatleute um Brot und Milch zu bitten. Also lege ich die vier Kilometer barfuß zurück. Versuche unterwegs zu trampen. Keiner hält. Schade.
Kurz vor dem Ziel kann ich den Laden nirgends sehen. Eine Cafehauskellnerin mit Akzent zeigt mir freundlich die Richtung, ein Passant läuft mir hinterher, als ich falsch abbiege, ruft er mir den richtigen Weg zu.

Genug Zeit, um zu grübeln. 
Komisch, noch vor einigen Jahrzehnten war es Gang und Gäbe, weite Strecken barfuß zu laufen. Warum fühle ich mich jetzt seltsam nackt, arm oder auch: anarchisch? Vogelwild?
Wenn man ohne Schuhe läuft, ist man jetzt anscheinend irgendwie dubios.. 
Oder Gesundheitsfanatiker. Oder schusselig. 

In der Hausnummer 73 haben die Hausbewohner viel Kram im Garten, sieht nach Bastlern aus, und ein Schlingensief-Zitat am Zaun: "Bleib realistisch, plane ein Wunder." 

Als ich zum Altarm zurückkomme, ist bei Friedel eine Party. Djs legen auf und viele fröhliche Menschen wippen zur Elektromusik, während es langsam dunkel wird. Sergio sitzt am Strand gegenüber und entfacht das Feuer. Ich koche die ekelhafteste Mahlzeit der ganzen Fahrt: Reis mit zu viel Salz, halb gar. Dazu Nudeln, teils zu weich, teils hart und in Klumpen aneinanderklebend. An einer Sauce mit Tomaten aus der Dose und einer großen Prise Sand.  
Sergio und ich würgen etwas davon hungrig hinunter. Dann retten wir uns mit  Marmeladenbroten und Milch. 
Er schläft neben dem Feuer ein und ich gehe noch einmal zu Friedel, um Wasser zu holen. Die Party ist voller geworden und ausgelassener. Ich stehe etwas verloren, aber sehr zufrieden zwischen den Feiernden und bestaune die Feuertonnen, Visuals an den Wänden und die ausgelassen angeschwippsten Tänzer. Wie ein Geist, ohne Schuhe, mit meinem Wasserkanister sauge ich mich voll von den Bildern und der Stimmung. Dann ein schneller Dauerlauf durch den stockdunklen Wald, den Weg mehr fühlend als sehend, zurück zum Zelt. Innerlich tanzend.

Die Musik läuft weiter, bis es hell wird und der Gedanke, dass da drüben ein Haufen Leute Spaß und gute Laune hat, macht mich zufrieden und gibt mir gute Träume. 

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